"Den Finanzdeckel aufheben"

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Quelle: Sebastian Bernhard_pixelio.de

Frau Sager, seit Jahren wird über strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen debattiert. Warum ist es so schwierig, dagegen etwas zu unternehmen?

In den letzten Jahren sind zwar erhebliche zusätzliche öffentliche Mittel in das Wissenschaftssystem geflossen, das Problem der erodierenden Grundfinanzierung der Hochschulen wurde damit aber nicht behoben. Im Gegenteil – die Probleme wurden durch Sonderprogramme wie den Pakt für Forschung und Innovation, die Exzellenzinitiative oder den Hochschulpakt zum Teil sogar verschärft und werden sich durch die Schuldenbremse für die Länder noch weiter vergrößern. Der Hochschulpakt schafft zwar Studiermöglichkeiten, finanziert aber nicht die Vollkosten eines Studienplatzes. Durch die dramatisch gestiegene Drittmittelquote werden zusätzliche Grundmittel gebunden. Gleichzeitig verstärken die Drittmittel die Tendenz zur Kurzzeitbefristung von Beschäftigungsverhältnissen. Der Pakt für Forschung und Innovation, von dem vor allem die außeruniversitären Forschungseinrichtungen profitieren, löst bei den Ländern erhebliche Mitfinanzierungspflichten aus. Diese Mittel stehen dann bei der Grundfinanzierung der Hochschulen nicht zur Verfügung.

 

Zusammen mit Kai Gehring haben Sie zu Jahresbeginn Vorschläge für einen Umbau der Hochschulfinanzierung unterbreitet. Was sind die zentralen Anliegen der Grünen?

Wir wollen, dass mehr Geld in die Haushalte der Hochschulen fließt. Das kann man auf unterschiedliche Weise erreichen: Der Bund könnte etwa eine größere Verantwortung bei der gemeinsamen Forschungsförderung übernehmen und die Länder könnten sich im Gegenzug dazu verpflichten, die frei werdenden Mittel in die Hochschulen zu investieren. Der Bund könnte beispielsweise bei der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft 70 statt bisher 50 Prozent der Kosten übernehmen und die Programmpauschale erhöhen. Ein zweites zentrales Thema ist die Befristung von Arbeitsverhältnissen, die inzwischen extrem ausgeufert ist. Wir wollen daher die Wissenschaftspakte an Mindeststandards für vernünftige Beschäftigungsverhältnisse koppeln. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen sich verbindlich verpflichten, für eine nachhaltige Personalentwicklung zu sorgen.

 

Herr Gehring, warum sehen Sie vor allem im Bereich ‚Finanzen‘ den Schlüssel für mehr Qualität in Studium und Lehre?

Die Anforderungen an die Hochschulen steigen: mehr Studierende, eine vielfältigere Studierendenschaft, Öffnung für Erwachsenen- und Weiterbildung, Technologie- und Wissenstransfer, regionale Vernetzung und Internationalisierung. All diese Daueraufgaben bewältigen die Hochschulen mit einer Grundfinanzierung, die zwischen 1995 und 2008 nur um 16 Prozent gestiegen ist. Das entspricht nicht einmal einem Inflationsausgleich. Im selben Zeitraum wuchs die Zahl der Studienanfänger um 34 Prozent. Inzwischen berichten vier von zehn Studierenden von überfüllten Seminare und Vorlesungen oder ausgebuchten Pflichtveranstaltungen. Das verschlechtert Studienbedingungen und gefährdet Bildungsaufstiege! Wer heute nur halbherzig in bessere Bildung investiert, wird Fachkräftemangel und soziale Folgekosten ernten.

 

Was muss geschehen, damit sich die Situation der Studierenden tatsächlich verbessert?

Der Bedarf an Studienplätzen bleibt noch lange Zeit auf hohem Niveau. Der Hochschulpakt muss daher aufgestockt und verstetigt werden, damit zusätzliches Personal eingestellt und Baumaßnahmen eingeleitet werden können. Steht der Bund weiter auf der Bremse, werden Länder und Hochschulen ab 2014 auf sich allein gestellt sein, die zusätzlichen Studienanfänger zu finanzieren. Der bisherige Finanzdeckel muss daher aufgehoben werden, um bessere Studienbedingungen zu ermöglichen. Allein dafür sind  ab 2014 jährlich eine Milliarde Euro zusätzlich notwendig. Auch müssen die Weichen für eine Neujustierung des Paktes ab 2016 gestellt werden.

 

Im Grundgesetz ist das „Kooperationsverbot“ verankert, das in der Bildung das Zusammenwirken von Bund und Ländern untersagt und in der Wissenschaft in enge Bahnen zwingt. Warum wollen Grüne und SPD Kooperationsmöglichkeiten erweitern?

Das Kooperationsverbot muss vollständig fallen. Der Vorschlag von Union und FDP , ein paar „Leuchtturm-Unis“ mit Bundesmitteln zu fördern, läuft an den drängendsten Problemen vorbei. Herausforderungen wie Ganztagsschulen, Inklusion und Studienplätze müssen von Bund und Ländern endlich gemeinsam bewältigt werden. Dafür braucht es eine Ermöglichungsverfassung für Bildung und Wissenschaft sowie eine echte Verantwortungspartnerschaft von Bund und Ländern.

 

Krista Sager ist Sprecherin für Wissenschafts- und Forschungspolitik,

Kai Gehring Sprecher für Bildungs- und Hochschulpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen