„Und welcher Rasse gehören sie an?“ fragt Dr. Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte provokativ in die Runde. Das Publikum schweigt. Er will sich jedenfalls keiner Rasse zuordnen. Aber gerade das fordert das deutsche Grundgesetz – denn da heißt es im dritten Artikel: „Niemand darf wegen (…) seiner Rasse (…) benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Dieser Passus verlangt geradezu eine Antwort und eine Zuordnung zu einer „Rasse“.
Deshalb soll dieser umstrittene Absatz nun geändert werden. Das Grundgesetz spreche an dieser Stelle die Sprache der Diskriminierenden und nicht der Betroffenen. Niemand könne glaubhaft Rassismus entgegenwirken, indem er sich auf diesen Paragraphen berufe. „Es geht um die Glaubwürdigkeit der Gesetzessprache.“ Der Begriff der „Rasse“ sei historisch extrem belastet, daher sollte er in gegenwärtigen Gesetzestexten auch nicht mehr verwendet werden. Mit ihm wurde im 19. Jahrhundert die Sklaverei und im 20. Jahrhundert die Ideologie des Nationalsozialismus gerechtfertigt. Rassenlehre und Antisemitismus sind untrennbar miteinander verknüpft. Dennoch wurde der Begriff nach dem zweiten Weltkrieg weiterhin verwendet und fand 1949 sogar Eingang ins deutsche Grundgesetz. Nur langsam wurde der Begriff in Frage gestellt. In einer Entschließung des EU-Parlaments empfiehlt die EU 1992 das Wort zu vermeiden, da er Rassismus befördert und implizit von einer Hierarchie ausgeht. Bisher haben nur Finnland, Schweden und Österreich diese Entschließung in nationales Recht umgesetzt.
In deutschen Gesetzestexten findet sich der Begriff weiterhin. Er fand sogar an sehr prominenter Stelle Eingang in das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006, das für Cremer aus praktischer Sicht eine weitaus höhere Relevanz als das Grundgesetz habe. Man könne aber mit diesem Begriff der Rasse nicht arbeiten, er sei juristisch unbestimmt und historisch belastet. Die deutschen Politiker hätten den Begriff jedoch weiterhin verwendet, da sie das Grundgesetz als ein historisches Signal, als Abkehr vom Nationalsozialismus begreifen und daher darin eine Abwendung vom Begriff der Rasse stattfinden müsse. Das Verständnis des Begriffes habe sich aber gewandelt, entgegnet Cremer, gerade durch dessen weitere Verwendung wird sich nicht mehr gegen die Rasse gewandt, sondern die dahinter liegende Idee perpetuiert. Für ihn impliziert der Begriff der „Rasse“ und die Frage danach immer auch schon – aufgrund der Geschichte – eine Hierarchisierung der so gefundenen „Rassen“. In einer solchen Anordnung stehe der weiße Europäer dann stets an der Spitze. Der Begriff sei zudem auch wissenschaftlich unbrauchbar.
Der Genpool der Menschen sei nahezu identisch, nur sehr wenige Merkmale seien verschieden, die allerdings das Äußere bestimmen, erklärte dazu der Wissenschaftshistoriker Prof. Uwe Hoßfeld. Es gebe keinerlei wissenschaftliche Basis für die Idee der Rassen und die damit verbundene Vorstellung einer bestimmten Hierarchie. Diese Idee sei in der Wissenschaft erst seit 1900 aufgekommen und wurde besonders in Jena beforscht: Vier Lehrstühle für Rassenkunde gab es dort in den 30er und 40 Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Trotz der auf dieser Ideologie basierenden Eugenik der Nationalsozialisten wurde der Begriff der Rasse auch in der Wissenschaft nach dem zweiten Weltkrieg weiter verwendet. Einen kleinen Eklat gab es beispielsweise vor wenigen Monaten, als die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft veröffentlichte, dass in den Thüringer Lehrplänen für Schulen noch von verschiedenen Menschenrassen gesprochen werde und dies auch Schülern beigebracht werde. Hoßfeld verwehrte sich gegen diesen Vorwurf, da die Lehrpläne noch von 1999 aus der Regierungsperiode von Dieter Althaus stammten und solche Lehrpläne nur sehr langsam überarbeitet würden. Zudem sei es bis zum Jahr 2000 sogar noch legitim gewesen in der Biologie von Rassen zu sprechen. Erst in den letzten Jahren sei der Begriff zunehmend von Anthropologen kritisiert worden. Selbst in der Wissenschaft findet somit zunehmend eine Abkehr vom Begriff der Rasse in Bezug auf den Menschen statt.
In der Politik gehe das jedoch eher schleppend voran. Allerdings werde viel auf Landesebene versucht, erklärte Jennifer Schubert, die für die Grünen im Thüringer Landtag sitzt. Sie hat sich auf dem letzten Thüringer Landesparteitag für einen Beschluss eingesetzt, der auf die Ersetzung des Wortes Rasse im Grundgesetz zielt. Man müsse das zunächst auf Landesebene absprechen, bevor man es in den Bundestag einbringt, da man für eine solche Grundgesetzänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit, also eine parteiübergreifende Zustimmung bräuchte. Die Grünen wollen zudem die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität aufnehmen: „Wenn man das Grundgesetz ändere, dann kann man das auch in einem Abwasch machen.“
Auf dem Podium war man sich in der Ablehnung des Begriffes „Rasse“ einig, nur das Publikum zweifelte noch. Welche Alternativen gebe es denn? Und durch die Abschaffung des Wortes schaffe man ja auch nicht den Rassismus ab! Oder: Wenn man alle Wörter abschaffen wolle, die durch den Nationalsozialismus vergiftet worden sind, könnte man ja kaum noch Wörter verwenden.
Der Begriff der „Rasse“ sollte im Grundgesetz nach dem Vorschlag von Cremer und auch im Antrag der Grünen durch ein „Verbot der rassistischen Benachteiligung“ ersetzt werden. Der Begriff des Rassismus sei nicht historisch belastet, auch wenn er denselben Wortstamm habe, erklärte Cremer. Rassismus sei vielmehr ein Überbegriff für viele Arten der Diskriminierung geworden und gehe in seiner Bedeutung über die Benachteiligung aufgrund der Rasse weit hinaus. „Es gibt keine Rassen, aber es gibt Rassismus“, fasste Schubert das pointiert zusammen.
Zwar sei auch diese neue Formulierung genauso wenig juristisch definierbar wie die alte, erklärt Cremer zum Abschluss, und die Änderung eines Wortes im Grundgesetz werde auch „keinen Deut am Ausmaß der realen Diskriminierung ändern“. Aber es gehe in der Initiative darum, die überkommene Idee einer Hierarchie der Rassen nicht für immer in den deutschen Gesetzestexten fortzuführen: „Es geht um Glaubwürdigkeit und einen notwendigen Perspektivwechsel.“