Berlin, Hamburg und München stehen wie je zuvor im Fokus von Politik und Wirtschaft. Sie gelten als die Tore zur Welt, die Wissen und wirtschaftliche Erfolge generieren. Die Anziehungskraft führt zum Zuzug einer großen Menge an Menschen, die jährlich in die Städte oder Umland ziehen. Im Umkehrschluss ist zu sehen, dass sich Gebiete außerhalb der Einzugsbereiche der Metropolen entleeren und ins Abseits des wirtschaftlichen Wachstums gedrängt werden.
Aber eine Pauschalisierung ist nicht möglich. In vielen ländlichen Gebieten schließen sich Gemeinden und Städte zusammen und entwickeln Konzepte für eine nachhaltige Regionalentwicklung. Um das Thema der nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung zu verstehen und zu erfahren was praktisch möglich ist, hat die Heinrich- Böll- Stiftung Thüringen e.V. eine zweitägige Exkursion in die Westlausitz und die Region Lausitz-Spreewald unternommen.
Das Motto zur regionalen Entwicklung Senftenberg lautet nach dem Wirtschaftsförderer Frank Neubert: „Hier kann man noch gestalten und muss nicht nur verwalten!“. Mit diesem Bild im Kopf vermarktet sich die Region selbstbewusst mit ihren eigenen Stärken und Qualitäten jenseits der Metropolregionen. Ein Grund dafür kann im Verständnis der ländlichen Bevölkerung gesehen werden, die erkannt haben, dass mit einer wachsenden Weltbevölkerung auch die Nachfrage nach Nahrungsmittel und Energie steigt. Diese Bedürfnisse zu befriedigen sind Großstädte nicht im Stande. Hierin steckt das Potenzial der ländlichen Gebiete:„ Die Energie muss in der Fläche eingesammelt werden“ sagt Anton Faust, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Senftenberg.
Neben Land und Leuten lernen die Teilnehmer Energiekonzepte und regionale Entwicklungsstrategien kennen. Während der Exkursion wurde das oftmals vorherrschende Bild von konservativen und weltfremden Landbewohner nicht bestätigt. Man trifft auf aufgeschlossene und zukunftsorientierte Bürger. Menschen, die ihre Region mit neuen Ideen vorantreiben.
Allein in der kleinen Gemeinde Rammenau, die unsere erste Anlaufstation war, zeigt sich ein großes Engagement der Bürger, die den Ort lebenswerter gestalten. Neben der Renovierung des Erbgerichts und der alten Schmiede, die als Ausstellungort und Bibliothek genutzt wird, betreiben die Bürger auf ehrenamtlicher Basis einen kleinen Laden, in dem regionalen Produkten verkauft werden. Das Engagement der Bürger hat hier einen hohen Wert und hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Es wird deutlich, wie wichtig die Arbeit der Bewohner ist und wie diese kleinen Tätigkeiten eine Gemeinde in ihrer Entwicklung vorantreiben können.Wenn jeder ein wenig mithilft.
Ähnliche Entwicklung lassen sich auf regionaler Ebene ablesen. Seit der sächsischen Gebietsreform 2007 wurden die Gemeinden aufgerufen eine Region mit den Nachbargemeinden zu bilden, um so weiterhin förderfähig zu bleiben. Mit diesem Beschluss entstand die Region Westlausitz. Somit spielt neben der Arbeit in der eigenen kleinen Gemeinde nun auch die Kooperation mit den Nachbargemeinden eine entscheidende Rolle für die Entwicklung. Die ersten Leitprojekte, die alle AkteurInnen gemeinsam anschieben, sind: Radrouten erstellen, Fachkräfte sichern, Tourismus vernetzen und eine energieautarke Region entwickeln.
Der erste Schritt zu der energieautarken Region in der Westlausitz ist ein systematisches Energiemonitoring für alle Schul- und Verwaltungsgebäude aufzubauen, um so Kosten und Energie einzusparen. Das komplexe Thema Energie wurde dem normalen Bürger mit einer Fahrradtour vermittelt, die organisiert wurde unter dem Namen „Technik zum Anfassen“ und die Teilnehmer zu verschiedenen Energieerzeugern wie Biogas-, Windkraftanlagen, Passivhäusern usw. führte.
Einen Schritt weiter ist man in der brandenburgische Stadt Senftenberg und der Region Lausitz-Spreewald. Auf regionaler Ebene wurden bereits umfassende Analysen und Szenarien erstellt, um ein Energiekonzept zu entwickeln. Susanne Feiler, die Projektmanagerin der Region Lausitz-Spreewald, betont besonders die Bedeutung einer guten Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, um Transparenz und eine enge Zusammenarbeit mit den Kommunen zu ermöglichen. Ähnliche Ansichten vertritt Anton Faust, der neben der ausgeprägten Öffentlichkeitsarbeit auch in dem stadteigenen Kraftwerk ein großes Potenzial sieht. Mit dieser Einrichtung ist es der Stadt möglich Wertschöpfung vor Ort zu gewährleisten und die Gewinne nicht ins Ausland fließen zu lassen, sondern direkt wieder für kommunale Belange zu verwenden.
Die Exkursion endete mit der Besichtigung des Boxberger Tagebaus im Landkreis Görlitz. Die weiten Flächen des Kohleabbaus zeigten den Teilnehmern, die einschneidende und raumveränderte Wirkung die Kohleerzeugung verursacht. Das typische Bild des Tagebaus und die darum liegenden Felder und Wiesen mit einzelnen Höfen erzeugen einen starken Kontrast zwischen fossiler und natürliche gewachsener Landschaft. Das Wissen über die Vergänglichkeit dieser dominierenden Industrie und die damit verbundene Abwärtsspirale wie Arbeitslosigkeit, Wegzug usw. macht einem den Wert der Netzwerkbildung und des Engagement jedes Einzelnen bewusst. Der Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raumes liegt in dem gemeinschaftlichen Angehen von Problemen.