Kommunale Bürgerhaushalte - Zwischen Feuerwehrfest und Online-Forum

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Quelle: Eigenes Foto

Das kleine Großbreitenbach in Thüringen mit seinen nicht einmal 3.000 Einwohnern ist deutschlandweit bekannt. Es hat als eine der wenigen Städte einen Bürgerhaushalt und steht damit in einer Reihe mit Großstädten wie Köln, Freiburg und Potsdam. Dort können die Bürger eigene Vorschläge für Projekte einbringen und über die Verwendung eines Teils der Haushaltsgelder mitbestimmen. Nur dass es in Großbreitenbach viel lokaler zugeht: Auf dem jährlichen Feuerwehrfest werden die Ergebnisse der Befragung präsentiert und mit den Leuten vor Ort diskutiert.

Vorbildlich findet das auch Professor Norbert Kersting. Er hat den Lehrstuhl für Kommunal- und Regionalpolitik an der Universität Münster inne und forscht seit Jahren zum Thema Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene. Ursprünglich stammt das Konzept des Bürgerhaushalts aus Brasilien. Fast jede zweite Stadt hat dort einen Bürgerhaushalt. Während in Brasilien auf diese Weise eine höhere politische Partizipation erreicht werden soll, geht es in Deutschland meist nur um Konsultation der Bürger zu den öffentlichen Finanzen. Die Politiker stehen dem Konzept meist eher skeptisch gegenüber: Der Bürger habe mangelnde Kenntnisse, aber auch eine hohe Risikobereitschaft, es könne zudem ein großer Gruppendruck entstehen. „Der Bürger habe aus Sicht der Politiker schlichtweg nur sein egoistisches Eigeninteresse im Blick, wohingegen der Politiker das Allgemeinwohl sehe“, fasst es Kersting zugespitzt zusammen.

Dennoch wird die Idee des Bürgerhaushaltes in immer mehr Kommunen meist von linken Parteien oder von der Opposition in die Diskussion eingebracht: In Deutschland hatten im April 2011 etwa 70 Städte einen solchen Haushalt eingeführt und mehr als 100 darüber diskutiert. Allerdings in sehr unterschiedlicher Form. Die Frage ist zum einen, worüber abgestimmt wird: Können die Bürger über die Verwendung von Haushaltsmitteln entscheiden? Können sie eigene Vorschläge einreichen oder wird nur über vorgegebene Vorschläge aus der Verwaltung entschieden? Die zweite wesentliche Frage ist die Form der medialen Beteiligung: Sollen sich die Bürger eher auf Veranstaltungen, durch eine postalische Umfrage oder über das Internet am Bürgerhaushalt beteiligen?

Volker Vorwerk vom Netzwerk „buergerwissen.de“ hat anhand dieser zwei Dimensionen verschiedene Typen von Bürgerhaushalten in Deutschland entwickelt: Er unterscheidet zwischen Online-Bürgerhaushalten, bei denen die Vorschläge aus der Verwaltung kommen und denen, bei denen die Bürger selbst Vorschläge machen können. Zudem unterscheidet er zwischen Umfragen und Versammlungen. In einigen Städten werden auch alle Instrumente zugleich eingesetzt, beispielsweise in Berlin-Lichtenberg.

Er hat die Entwicklung des Online-Bürgerhaushaltes in Trier betreut und will deshalb auch „eine Lanze für das Online-Verfahren brechen“. Eine Versammlung ermögliche zwar eine intensive Diskussion und durch den Zeitdruck auch eine Konsensfindung, aber es könne ein Gruppendenken entstehen und die Diskussion würde meist durch einzelne Redner dominiert. Durch Umfragen könnte theoretisch eine höhere Repräsentativität erreicht und einfache Fragen gut abgefragt werden, allerdings sei dies nur ein singuläres Ereignis, das mit hohen Kosten verbunden ist und bei dem die Repräsentativität fraglich sei. Es sei allerdings ein strukturelles Problem der Bürgerhaushalte, so Vorwerk, dass nur eine bestimmte Gruppe von Menschen antworte: „Je höher der Bildungsgrad, desto eher beteiligen sich die Leute auch.“ Deshalb sieht Vorwerk in der Idee des Bürgerhaushalts auch lediglich eine Chance für die Verwaltung sich eine zusätzliche Meinung von interessierten und engagierten Bürgern einzuholen. Nach seinen Erfahrungen erreicht man für den Bürgerhaushalt maximal 1-3 Prozent der Leute. In Berlin-Lichtenberg habe man mit einem riesigen Aufwand durch das mehrstufige Verfahren 4-5 Prozent der Bevölkerung erreicht. Diese mangelnde Repräsentativität kann für Vorwerk aber durch das richtige Verfahren ausgeglichen werden. Und das ist für ihn der Online-Dialog mit den Bürgern: Dieser Dialog sei zeitlich flexibel mit einer unbeschränkten Teilnehmerzahl möglich, man könne komplexe Probleme darstellen und es sei eine hohe Transparenz gewährleistet. Allerdings werden dadurch ältere Menschen benachteiligt, die keinen Internetzugang haben. Durch zusätzliche schriftliche Verfahren könnten diese aber auch beteiligt werden, wie man es in Trier versucht habe.

Für Norbert Kersting wird mit der Verlagerung ins Internet der Dialog zwischen Bürger und Verwaltung vernachlässigt. Das sei jedoch ein zentraler Aspekt des Bürgerhaushaltes: Mit den Bürgern und der Verwaltung über die gemeinsamen Probleme und Anliegen ins Gespräch zu kommen. Zudem werde im Internet aufgrund der Anonymität nur selten sachlich argumentiert, sondern die Diskussion gelange sehr schnell auf eine persönliche, beleidigende Ebene. Aber der Trend gehe zur Online-Umfrage, stellt auch Kersting fest, da diese kostengünstiger und einfacher umzusetzen sei. Durch das sogenannte Crowd-Sourcing, das Abschöpfen des Wissens der Nutzer, könne man auch ganz neue Ideen gewinnen. Allerdings seien die Möglichkeiten der Online-Befragungen auf kleinstädtischer Ebene begrenzt, da dort weder ausreichende Internetverbindungen noch ein internet-geübtes Publikum vorhanden sind. Dort bieten sich, wie eben in Großbreitenbach, eher Versammlungen oder Festveranstaltungen an. Man müsse die einzelnen Instrumente auch regional verschieden einsetzen.

Aber selbst wenn in einer Stadt ein Bürgerhaushalt eingeführt wurde, heißt das noch lange nicht, dass damit auch die Umsetzung der Bürgerentscheidungen gesichert ist. Das Problem ist oft der politische Wille. In der Stadt Jena war der Wille zur Einführung des Bürgerhaushaltes zwar da, aber heute werden die Beteiligten der AG Bürgerhaushalt Jena vom Stadtrat oft als Störenfriede empfunden: „Wir sind das ungeliebte Stiefkind“, fasst es Olaf Rödiger zusammen. Die Politik hat sich ausgeklinkt und überlässt alles der Arbeitsgruppe. „Ohne politischen Willen ist die politische Beteiligung nur schwer realisierbar“ hat auch Alexander Koop von der Bertelsmann Stiftung festgestellt. Er hat das Gefühl, dass man es mit Bürgerhaushalten in Deutschland nicht ernst meint. In Brasilien wird ein bestimmter Teil des Budgets von den Bürgern verwaltet und die Politik kann nach einer Abstimmung die Ergebnisse nicht mehr ignorieren, sondern muss sie umsetzen. Das würde in Deutschland in die Finanzhoheit der Kommunen eingreifen und wäre damit verboten. Allerdings ist das, laut Koop, auch in Brasilien nicht erlaubt, wird aber durch eine geschickte Formulierung umgangen. Das wäre, wenn man es denn wollte, auch in Deutschland möglich.

Der Unterschied zwischen Deutschland und Brasilien sei jedoch, erklärt Vorwerk, dass hier der Leidensdruck nicht so hoch sei: In Brasilien würden durch die Bürgerhaushalte im Wesentlichen soziale Ungleichgewichte ausgeglichen, die bei uns in dieser Schärfe nicht existieren oder durch den Sozialstaat aufgefangen werden. Zudem gebe es in Deutschland, so ergänzt Kersting, schon ein hohes Maß an Partizipation auch auf kommunaler Ebene, so dass der Wunsch nach mehr Beteiligung bereits abgemildert werde. Allerdings seien dadurch auch kommunale Machtstrukturen entstanden, die neue Entwicklungen eher blockieren. Deshalb sei es bei der Umsetzung des Bürgerhaushaltes gerade wichtig, darauf zu achten, dass man „die Politik und die Verwaltung einbindet, ohne sie dominieren zu lassen.“ Man müsse auch wegkommen von der Totschlag-Argumentation des Stadtrates, der immer nur sagt: „Die Bürger können doch zu den Stadtratssitzungen kommen und sich beteiligen!“ Stattdessen müsse man zu den Bürgern gehen und sie mit ihren Problemen und Anliegen abholen, wo sie sind.

Die Möglichkeiten eines Bürgerhaushaltes werden oft allerdings auch durch die kommunale Haushaltslage erschwert. In Solingen und Essen wurden Bürgerhaushalte nur eingeführt, damit die Bürger entscheiden können, an welcher Stelle die Politik sparen soll. Die Politik konnte so die Verantwortung für eine solche Entscheidung auf die Bürger abwälzen. Auch die Einführung eines Bürgerhaushaltes kann angesichts einer schwierigen Haushaltslage problematisch werden. Im thüringischen Suhl scheiterten die großen Ambitionen daran. In Eisenach gab es im Jahr 2010 gar keinen offiziellen Haushalt, so dass auch die Bürger nicht beteiligt werden konnten. In kleineren Städten ist auch schwierig überhaupt Akzeptanz für die Idee einer größeren Beteiligung der Bürger zu finden, berichtete ein Teilnehmer aus Schmölln: „Da sind oft sehr dicke Bretter zu bohren.“

Für die Verknüpfung der verschiedenen Thüringer Initiativen wurde daher auf der Tagung das Thüringer Netzwerk „Bürgerhaushalte“ ins Leben gerufen. Das Interesse aus verschiedenen Thüringer Kommunen war zunächst sehr groß. In dem Netzwerk sollen Materialien zur Verfügung gestellt werden und in regelmäßigen Treffen die Erfahrungen und Probleme ausgetauscht werden. So könnten bald auch Schmölln oder Suhl erfolgreiche Beispiele für einen gelungenen Bürgerhaushalt werden. Wie Großbreitenbach eben.