Plötzlich waren alle 40 Zuhörer eine große, analoge Share Community: „Kann mir jemand vielleicht einen Tapeziertisch für den Flohmarkt am kommenden Samstag leihen?“ So einfach war die Frage, die eine Zuhörerin passenderweise an das Publikum der Diskussion „Teilen ist besser. Share Economy und Nachhaltigkeits-Communities“ stellte. Kaufen lohnt nicht, da man einen Tapeziertisch nur sehr selten braucht. Am ehesten würden sich die meisten Menschen solche Dinge wohl von Freunden leihen. Aber was, wenn niemand so etwas hat?
Lisa Schmidt würde als allererstes zu den Nachbarn gehen. Sie ist im Vorstand des gemeinnützigen Vereins „Pumpipumpe“. Dieser Verein will den kommunikativen und materiellen Austausch unter den Nachbarn eines Hauses befördern. Das Ganze basiert auf der Idee, dass jeder in einem Haus verschiedene Gegenstände hat, die er auch den Nachbarn ausleihen könnte. Um zu zeigen, welche Gegenstände zum Verleihen es in einem Haushalt gibt, bietet Pumpipumpe 46 kostenlose Sticker mit verschiedenen Icons an: z.B. eine Leiter, ein Grill, ein Beamer oder eine Springform. Diese kleinen Aufkleber klebt man dann auf den eigenen Briefkasten, so dass die Nachbarn sehen können, was man verleihen würde.
Auf diese Weise entsteht nicht nur eine lebendige Hausgemeinschaft, sondern es muss auch nicht mehr soviel gekauft werden, da mehrere Haushalte sich beispielsweise eine Bohrmaschine teilen können. Das Projekt boomt – es gab bereits über 15.000 Bestellungen dieser Sticker. Dank eines enormen Medienechos ist jedoch gerade Lieferstopp bei den Stickern.
Die Sticker sind eigentlich teuer, erklärt Schmidt. Daher überlege der gemeinnützige Verein momentan auch, ob man sie in Zukunft noch kostenlos anbieten kann oder einen Unkostenbeitrag verlangen soll. Freiwillige Spenden hätten bisher nicht funktioniert, da die Kunden nicht mehr spenden wollten, wenn sie das Produkt bereits hätten. „Ich kann verstehen, dass aus der Share Economy immer mehr Economy wird“, sagt sie.
Pumpipumpe gehört wohl eher zum analogen Teil der gerade entstehenden Share Economy. Das Internet war im Projekt bisher nur dazu da, um die Sticker zu ordern – eigentlich geht es ja ja um die direkte Kommunikation mit den Nachbarn. Das ist nicht vergleichbar mit großen Portalen wie Mitfahrgelegenheit, Uber oder Airb’n’b, über die mittlerweile Millionen Kunden ihre Fahrten planen oder ihre Urlaubswohnung buchen.
„Neue Begriffe sind notwendig, um die entstehende Share Economy besser zu beschreiben,“ erklärt Julia Hauck. Airbnb sei eher „Economy“, während Pumpipumpe mehr „Share“ ist. Die Share Economy befinde sich gerade in ihrer Findungsphase und es werde sehr viel experimentiert. Hauck schreibt ihre Promotion über die Vertrauensbildung in serviceorientierten Onlinecommunities.
Das Grundproblem der Sharing Economy ist in ihren Augen: „Je professioneller es wird, desto weniger kann auf das soziale Vertrauen zurückgegriffen werden.“ Vertrauen sei eine Währung, die in der digitalen Welt nicht so leicht herzustellen sei. In kleinen Communities funktioniere dies einfacher, da die Konsequenzen eines Vertrauensbruchs offensichtlicher sind. Größere Portale müssten, um dies ihren Nutzern zu bieten, auf professionelle Bewertungssysteme zurückgreifen. Diese Systeme sind oft weit entwickelt und funktionieren gut. Problematisch sei daran allerdings, dass es zu viele positive Bewertungen im Internet gebe: „95 % der Bewertungen auf TripAdvisor seien positiv“, berichtet Hauck.
Der Gedanke des Teilens stehe bei den Nutzern in den Online Communities nicht im Vordergrund, hat Hauck festgestellt. Es gehe weniger um Nachhaltigkeit, sondern primär ums Geldsparen: „Nachhaltigkeit ist da momentan nur ein Nebeneffekt.“ Sie hofft jedoch, dass die Share Economy auch zu einem Druckmittel auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit werden könnte. Am Beispiel des Mitfahrens lässt sich das verdeutlichen: Am ökologischsten wäre es eigentlich, wenn alle Menschen mit der Bahn fahren würden. Doch die Angebote der Bahn sind dafür noch nicht gut genug. Durch die Konkurrenz der Mitfahrgelegenheiten könnte die Bahn auf lange Sicht gezwungen werden, bessere Angebote zu entwickeln.
Problematisch wird es allerdings, wenn die Share Economy durch billigere Angebote arbeits- oder versicherungsrechtliche Standards aushebelt. Die privat vermittelten Wohnungen von Airb’n’b stehen in Konkurrenz zu den Hotelanbietern einer Region, die ihren Angestellten Sozial- und Krankenversicherung bezahlen und auch Versicherungsschutz in den Zimmern gewährleisten. Das alles umgeht Airb’n’b. Ähnliches gilt auch für Transportanbieter wie Uber oder Mitfahrgelegenheit.
Beim analogen Projekt Pumpipumpe hat man solche versicherungsrechtlichen Fragestellungen auch nicht geregelt: Was passiert, wenn der Beamer beim Leihen kaputt geht? Lisa Schmidt vertraut in solchen Fragen auf den gesunden Menschenverstand der Nutzer, die solche Streitigkeiten unter sich klären können. Aber solche negativen Beispiele gebe es auch kaum. Vielmehr werde ihr immer wieder berichtet, wie gut sich die Kommunikation im Haus mit den Nachbarn durch die Sticker entwickelt habe.
Auch am Ende der Veranstaltung hat sich immer noch kein Tapeziertisch gefunden. Vielleicht schaut die Fragestellerin noch einmal in die Facebook-Flohmarkt-Gruppe. Oder aber sie beteiligt sich an Pumpipumpe und fragt direkt ihre Nachbarn.