Nach der Vorstellung der Studie "Lessons learned! 25 Jahre BNE und ausserschulische Umweltbildung in Thüringen" diskutierten die eingeladenen AkteurInnen in verschiedenen Foren über den aktuellen Stand der Bildungsarbeit.
Thüringen als Vorreiter
„Thüringen war bundesweit ein Vorreiter in Sachen 'Bildung für nachhaltige Entwicklung'“, erklärt Mandy Singer Brodowski vom Wuppertal Institut. Bundesweit schaute man in den Jahren 2005 bis 2008 auf Thüringen und beobachtete die Ausgestaltung und Umsetzung der „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ (BNE), die vor allem durch zivilgesellschaftliche Akteure vorangetrieben wurde.
Singer Brodowski hatte im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen eine Studie zur Geschichte der BNE in Thüringen durchgeführt. Für die Studie wurden Dokumente und politische Entscheidungen analysiert, qualitative Interviews mit Experten geführt und Finanzierungs- und Förderpläne des Landes untersucht. Und die Geschichte der BNE in Thüringen ist für ein kleines Bundesland erstaunlich.
In den 90er Jahren gab es in Thüringen bereits viele Aktivitäten in diesem Bereich: Es gab beispielsweise Tagungen zur Entwicklung der Lokalen Agenda 21 und es entstanden viele Vereine, Initiativen oder Eine-Welt-Läden. Besonders aktiv waren die Arbeitskreise der Umweltbildnerinnen, aus denen ein eigener Dachverband der zivilgesellschaftlichen Akteure entstand – der Arbeitskreis Umweltbildung Thüringen e.V. (akuTh e.V.). Durch diese Bündelung der zivilgesellschaftlichen Kräfte konnte über Qualitätsstandards der Bildungsarbeit diskutiert und die Aktivitäten professionalisiert werden. Trotz einiger Konflikte zwischen den Akteuren wurde aktiv kooperiert – vor allem zwischen der Landesverwaltung und der Zivilgesellschaft.
Im Jahr 2005 begann die UN-Dekade „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“. Am Anfang der Dekade war Thüringen ebenjenes Musterland. 2005 gibt es eine fraktionsübergreifende Initiative, und einen Landtagsbeschluss zur Umsetzung der UN-Dekade durch den akuTh e.V.. Es wird ein „Kernteam“ zur Umsetzung der Dekade-Aktivitäten (beispielsweise die Veröffentlichung eines Aktionsplans) eingerichtet, in dem Vertreter des akuTh e.V. ebenso wie Vertreter aus den Ministerien sitzen. Eine Koordinierungsstelle wird beim akuTh e.V. eingerichtet. Durch diese Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Akteuren und politischer Förderung kommt es zu einem „ehrenamtlichen Kapazitätsschub“, wie es Singer-Brodowski ausdrückt. Eine Studie aus dem Jahr 2007 hat 100 Projekte in Thüringen identifiziert, die sich mit den Themen der Bildung für Nachhaltigkeit beschäftigen. „Für ein kleines Land wie Thüringen ist das sehr viel,“ erklärt sie.
BNE verliert an politischer Priorität
Doch ab 2008 beginnt die Phase der „Prekarisierung“. Die Konflikte zwischen den Trägern und der Verwaltung spitzen sich zu. Das Thema der „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ wird auf der politischen Ebene abgelöst durch die Entwicklung einer landesweiten Nachhaltigkeitsstrategie: Das Land beruft einen Nachhaltigkeitsbeirat und BNE verliert zunehmend an politischer Priorität. Bereits zwei Jahre vor Ende der BNE-Weltdekade, im Jahr 2012, wird die Koordinierungsstelle geschlossen.
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Förderung durch das Land wieder. Michael Flohr hat für die Studie die finanzielle Förderung durch das Land untersucht. Das Thema der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ kam dabei erst spät auf. Anfangs wurde dies alles noch unter den Begriffen „Umweltbildung“ und „Umweltpädagogik“ zusammengefasst – erst die BNE-Dekade verlagerte den Fokus auf den Begriff „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Erstmals wurde der Begriff im Haushalt des Bildungsministeriums im Jahr 2010 verwendet. Während in der Hochphase ab 2005 sehr viele außerschulische Bildungsprojekte gefördert wurden, konzentrierte sich die Förderung insbesondere ab 2011 nur noch auf wenige große Träger. Flohr veranschaulicht dies an der Verteilung der Fördersummen: Während 2010 die drei Höchstgeförderten 44 Prozent der Projektfördermittel des Umweltministeriums erhielten, verdoppelte sich dieser Wert im Folgejahr nahezu auf 84 Prozent. Bis 2013 stieg dieser Wert sogar weiter auf 94 Prozent. Obwohl das Land in dieser Zeit die Fördersumme erhöhte, fanden sich nur noch wenige Projekte, die sich darum bewarben. „Die Akteure wurden vom Land nicht mehr erreicht,“ erklärt Michael Flohr.
Anzeichen für eine Trendwende
Aber Mandy Singer-Brodowski sieht mittlerweile „Anzeichen für eine Trendwende“. Im Oktober 2015 fand ein Forum zur „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ mit über 120 Teilnehmern in Erfurt statt. Der Thüringer Nachhaltigkeitsbeirat wurde von der rot-rot-grünen Koalition neu besetzt und hat als eines seiner Ziele die Förderung der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Es gebe außerdem „on the ground“ viele Initiativen, die sich gar nicht als BNE-Projekte verstünden, aber BNE-Arbeit leisteten, erklärt Singer-Brodowski: „Die Form des ehrenamtlichen Engagements ändert sich, Jugendliche sind heute weniger im Verein organisiert, als vielmehr in Projekten.“
Die Studie soll einen Teil zur Stärkung der Bildung für Nachhaltige Entwicklung beitragen. Dafür formuliert die Studie Empfehlungen für die Politik und die zivilgesellschaftlichen Akteure: Es sollte beispielsweise ein breiter Dialog über die Frage angestoßen werden, wie Projekte möglichst unkompliziert gefördert werden können. Im Rahmen dieses Dialogs könnte auch ein Qualitätssiegel für BNE entwickelt werden. Die Akteure könnten in diesem Prozess wieder in Kontakt miteinander gebracht werden. Wichtig wäre es auch, die Hochschulen als Impulsgeber für die „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ zu gewinnen. So könnte eine BNE-Academy ins Leben gerufen werden, in der ebenso theoretisch über Qualitätsstandards für gute BNE diskutiert wie auch praktisch Beratung und Qualifizierung für freie Träger angeboten werden kann.
Nach der Vorstellung der Studie und einer kurzen Diskussion wurden auf der Veranstaltung vier Foren gebildet, in denen der aktuelle Stand bei einzelnen Themen der BNE diskutiert wurde.
Im ersten Forum wurde über Ernährung, Landwirtschaft, urbanes Gärtnern und Essbare Städte gesprochen. Man war sich einig, dass Ernährung und nachhaltige Landwirtschaft wichtiger in der BNE-Debatte werden. Es gebe zwar viele Projekte in Thüringen, wie Urban Gardening-Projekte oder das Netzwerk für Jugend-Umwelt-Bildung in Thüringen, aber diese seien oft zu wenig untereinander vernetzt und müssten sichtbarer werden. Es fehle ein Forum, in dem Veranstaltungen publiziert werden können.
Um die Postwachstumsgesellschaft und grüne Ökonomien ging es im zweiten Forum. Zunächst wurde festgestellt, dass das Thema der Postwachstumsgesellschaft kein originäres Thema der BNE ist. Während die BNE-Bewegung aus der Umweltbildung komme und ein klassisches Bildungsziel innerhalb der Gesellschaft verfolge, sei die Postwachstums-Bewegung eher gesellschaftskritisch. Sie biete damit eine mögliche Antwort auf die Fragen, die durch die BNE aufgeworfen werden. Immerhin gebe es auch schon viele Projekte, die an der Schnittstelle zwischen BNE und Postwachstum arbeiten, wie Repaircafes oder Kleidertauschmärkte. Aber viele der Angebote würden noch zu wenig wahrgenommen.
Das dritte Forum widmete sich dem Thema Flucht und Migration. Ein wichtiger Aspekt einer Bildung für nachhaltige Entwicklung sind die Ursachen für Flucht und Migration: Die ungleichen Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse. Durch den Flüchtlingszuzug könnte nun ein interkultureller Austausch auf Augenhöhe stattfinden. Dafür müssten aber gemeinsame Erlebnis- und Erfahrungsräume geschaffen werden und es müsse eine stärkere Vernetzung und Koordination durch hauptamtliche Mitarbeiter stattfinden.
Das letzte Forum war ein offenes Forum. Hier wurde über die Frage diskutiert, wie es nun mit BNE in Thüringen weitergehen und das Thema in den Institutionen vorangebracht werden könnte. Es müsste ein intersektoraler Tisch zur Gestaltung des Weltaktionsprogramms etabliert werden. Idealerweise müsste BNE ein Bestandteil jedes Projekts werden, das vom Land Thüringen gefördert wird. Allerdings hat BNE es schwer, sich in der Politik zu verankern, weil es in zu vielen verschiedenen Sektoren angesiedelt ist: BNE-Themen werden durch das Umwelt-, das Bildungs-, das Wissenschafts- und das Sozialministerium bearbeitet. Diese vier Ministerien müssten deshalb stärker kooperieren.
Immerhin konnte durch die Veranstaltung bereits eine erste Empfehlung der Studie umgesetzt werden: Die zivilgesellschaftlichen BNE-Akteure in Thüringen werden sich wieder in einem Kreis treffen und darüber diskutieren, wie das Thema „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ in Thüringen wieder stärker vorangebracht werden kann.