„Der Typ, der das System kaputtmacht“ – Die Welt nach zwei Jahren Trump

Podiumsgespräch mit Julianne Smith und Sergey Lagodinsky

„Die negative Nachricht ist: Trump sitzt immer noch im Weißen Haus.“ (Julianne Smith)

 

Will Donald Trump die Demokratie zerschlagen? Den Welthandel, wie wir ihn kennen, zerstören? Welche Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt er? Wie ernst sind seine Äußerungen gegenüber Minderheiten zu nehmen? Welcher Moral gehorcht er? Dies sind nur einige der Rätsel um diesen 45. amerikanischen Präsidenten, der so oft verbal um sich schlägt. Seine Unberechenbarkeit ist legendär. Seine Handlungen, auch über Twitter, sind schwierig einzuordnen. Trump ist der erste Präsident der USA, der nicht eindeutig als Republikaner auftritt, obwohl er Mitglied der Republikanischen Partei ist.

 

Am 26. September lud die Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen e.V. ins Café Nerly nach Erfurt ein, um über solche und weitere Fragen zu diskutieren.

Mit Julianne Smith hatte die Stiftung eine Expertin geladen, die langjährige Erfahrungen als Mitglied der Demokratischen Partei in der amerikanischen Politik und nicht zuletzt im Weißen Haus hat. Sie war Beraterin des zwischen 2009 und 2017 amtierenden Vizepräsidenten Joseph Biden und gehörte zum Wahlkampfstab von Hillary Clinton für die letzte Präsidentschaftswahl. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Europa und die transatlantischen Beziehungen. Julianne („Julie“) Smith ist zuletzt anderthalb Jahre durch die USA gereist, um mit Menschen zu sprechen: „Ich habe viel über mein Land gehört, mehr als in der Zeit, als ich in Washington gearbeitet habe. Jetzt habe ich die Möglichkeit, durch Deutschland zu reisen und hier mit den Menschen zu reden.“ Derzeit ist sie Weizsäcker Fellow der Robert Bosch Acadamy in Berlin.

Auch Sergey Lagodinsky, Referatsleiter für EU/Nordamerika der Heinrich-Böll-Stiftung, ist ein Kenner und Beobachter der amerikanischen Gesellschaft und Politik. Er ist publizistisch und analytisch für zahlreiche Medien in Europa und den USA tätig.

Das Podiumsgespräch moderierte Madeleine Henfling (MdL, Bündnis 90/Die Grünen).

 

Madeleine Henfling: Wie waren die ersten zwei Jahre mit Trump?

Julie Smith: Was sich im ersten Jahr, 2017, herausstellte: dass seine Politik nicht so radikal war wie das, was er sagte. Im zweiten Jahr änderte sich das und dadurch war es härter als das erste. Denn 2018 hat er einiges von dem, was er angekündigt hat, wahr gemacht. Inzwischen hat er die Berater, die ihn etwas im Zaume hielten, hinausgeworfen. Trump hat die Tendenz, sehr sauer zu werden. Es stellt sich immer die Frage, wie er auf etwas reagiert.

 

Madeleine Henfling: Welche Zukunft haben die Transatlantischen Beziehungen?

Julie Smith: Deutschland ist verwurzelt in multilateralen Beziehungen. Trump ist das Gegenteil. Er möchte das Spiel einer gegen einen. Er glaubt, dass Amerika im Nachteil ist, wenn er gleichzeitig mit mehreren verhandelt. Für ihn bedeuten die multilateralen Foren immer einen Verlust für die USA.

Sergey Lagodinsky: Es geht nicht nur um die Amerikaner, sondern es geht auch um uns. Warum wählen wir solche Leute? Es geht nicht darum, uns von den Amerikanern loszusagen, es geht auch nicht darum, transatlantische Beziehungen zu beenden, sondern darum, sie neu zu erfinden. Im Handel möchte Trump nicht mit der EU Verhandeln, sondern mit Deutschland allein, eins zu eins.

 

Madeleine Henfling: Wie sieht das bei der Sicherheitspolitik aus?

Julie Smith: In der Sicherheitspolitik sieht Trump sich an, wie viel ein Land für seine Verteidigung ausgibt. Trump sagt: „Ihr müsst einfach mehr Geld für eure Verteidigung ausgeben!“ Und hat damit ein Problem aufgegriffen, das ein Fünkchen Wahrheit beinhaltet. Aber er hat es so sehr aufgeblasen, dass es schwierig ist, ihm darin zu folgen.

 

Madeleine Henfling: Wie schätzen Sie seinen Umgang mit Minderheiten, Frauen und seine Meinung zum Rassismus ein?

Julie Smith: Manchmal, wenn ich mir anschaue, was er da sagt und macht, scheint es mir, als würde er eine Art Hundepfeife trillern. Trump versucht, die Flammen ein bisschen anzufachen und die Probleme hochzupushen.

Da ist eine Nuance von Rassismus, aber oft ist es auch schwammig. Es gibt Leute in seiner Partei, die ihn in diese Richtung schubsen wollen – zur extremen Rechten. Aber er hat auch Leute in seiner Nähe, die sich damit sehr unwohl fühlen und ihn zurückhalten.

 

Madeleine Henfling: Wie passt Trump mit der amerikanischen Verfassung zusammen?

Julie Smith: Die Sache mit Trump ist folgende: Sie können ihm kein Label geben. Er widerspricht sich ständig. Man kann ihn nicht Populist nennen. Es ist sehr schwierig zu beschreiben, wem oder was er folgt. Eine Sache, die klar ist: Er bewundert Autoritäten, die aus ganz unterschiedlichen politischen Systemen kommen. Was er damit bezweckt, weiß man allerdings nicht.

Er wirft die Institutionen einfach aus dem Fenster: die Medien, die Presse, sogar das FBI. Es ist schwierig, sich eine Meinung darüber zu bilden, was er möchte. Das Komische ist, dass er manchmal gar nicht wirkt wie ein Republikaner. Er passt in keine Kategorie.

 

Madeleine Henfling: Wie sieht es in seiner eigenen Partei aus?

Julie Smith: Die Republikanische Partei war nicht in der Lage, ihm die Stirn zu bieten. 20 – 30% der Republikaner unterstützen Trump und seine Agenda, und sie werden das so lange tun, wie es dauert.

 

Madeleine Henfling: Wie reagieren die demokratischen Institutionen und Wähler auf Trump?

Julie Smith: Ich habe in den letzten Jahren beobachtet, dass die demokratischen Institutionen begonnen haben, auf Trump zu reagieren. Viele Leute wurden sehr aktiv und haben damit unter anderem erreicht, dass die Trennung von Kindern und Eltern (bei Familien, die an der Südgrenze zu Mexico illegal in die USA einwandern wollten) inzwischen zurückgenommen wurde. Das ist einfach schön, dass die Bürger wieder auf die Straße gehen. Das hat mich inspiriert und ermutigt.

Sergey Lagodinsky: Es kam zu einer Repolitisierung des öffentlichen Diskursraumes. Das steht auf der Positivseite. Denn viele von uns haben verstanden, dass es um etwas geht. Viele von uns haben entdeckt, wie man sich einbringen kann.

 

Madeleine Henfling: Wie sieht die Repolitisierung in den USA aus, auch in Hinblick auf die Kongresswahlen am 6.11.2018?

Julie Smith: Die Wahlen Anfang November energetisieren beide Parteien. Ich glaube aber, dass die Demokraten diejenigen mit mehr Energie sind, denn sie werden von Wut und Zorn getrieben. Sie halten ihre Leute dazu an, doch bitte zur Wahl zu gehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Demokraten beide Kammern übernehmen. Dann werden wir eine dramatische Veränderung in der Trump-Administration erleben.

Man sieht diese Motivation, sich zu organisieren, etwas aufzubauen. Aber wir haben eine gespaltene Gesellschaft. Es gibt sehr viel Zorn. Jeder lebt dort, wo ähnlich denkende Menschen wohnen. Demokraten reden mit Demokraten, Republikaner mit Republikanern. Wir brauchen den Dialog. Doch die Sprache ist gerade sehr aggressiv. Wir haben die Anständigkeit in den politischen Diskussionen verloren. Wir können über die Parteiengrenze hinweg nicht ordentlich miteinander reden. Wir brauchen jemanden, der das Land wieder zusammenführt. Ich weiß aber nicht, wer das sein könnte.

 

Madeleine Henfling: Ist dieser Riss durch die Gesellschaft mit Trump gekommen?

Julie Smith: Es gab diese Spannungen auch schon in den Bush-Jahren und in den Jahren mit Obama. Das ist ein langfristiger Prozess. Trump nutzt die Situation nur aus.

 

Madeleine Henfling: Warum wählen Menschen, die gegen das Establishment sind, jemanden, der finanziell das Establishment ist?

Sergey Lagodinsky: In Amerika ist Reichtum positiv besetzt, nicht Teil des Establishments. Deshalb gehört Trump nicht zum Establishment, vor allem nicht zum politischen.

Julie Smith: Donald Trump ist ein Genie, wenn es um Marketing geht. Er hat sich in die Gefühle der Menschen eingeschlichen. Die Menschen haben das Gefühl, ihn aus TV-Shows zu kennen und zwar immer als Außenseiter. Viele haben sein Buch „The art of the deal“ gelesen. Trump hat dieses Image aufgebaut, dass er anders ist, dass er den besseren Deal macht, dass er zu keiner Partei gehört, er ist ein Störer. Er gilt als der Typ, der das System kaputtmacht. Seit den 50ern nimmt das Vertrauen in die Regierung stetig ab. Es ist eine Protestwahl. Die Menschen wollen, dass er das System verändert, sie finden seine Destruktivität, seine ganze Herangehensweise super.

 

Madeleine Henfling: Was machen die Demokraten?

Julie Smith: Die Demokraten, also meine Partei, genießen es, ihm Steine in den Weg zu legen. Sie haben aber selbst noch nicht ihre Seele gefunden. Wir sind beispielsweise gespalten zum Thema Post-Produktionsgesellschaften.

Beide Parteien müssen sich auf große Veränderungen in der Zukunft einstellen, aber keine der großen Parteien denkt über ihre Zukunft nach.

 

Frage aus dem Publikum: Gibt es jemanden, der anstatt Trump kandidieren könnte?

Julie Smith: Ich glaube nicht. Ich glaube, seine Partei wird ihn auf jeden Fall unterstützen. Bei den Demokraten gibt es ungefähr siebzehn Kandidat*innen. Ich könnte allein 20 Personen nennen, die ich mir als Kandidat*in vorstellen könnte. Und es gibt noch weitaus mehr mögliche Kandidat*innen, an die wir gar nicht denken. Nach Trump glaubt jeder: ‚Ich könnte Präsident werden‘. Wir werden sehen.

 

Frage aus dem Publikum: Warum tun wir in Deutschland so, als ob Trump der Antichrist wäre?

Julie Smith: Er ist eine sehr interessante Persönlichkeit. Mir fällt aber nichts ein, was ihn zu einem super Präsidenten macht. Was mir Sorgen bereitet, ist, dass er unsere Demokratie infrage stellt. Er hat keine ‚normalen‘ Berater*innen. Donald Trump ist ein radikaler Chef, er hat drei Berater entlassen, er verstößt gegen die Norm, er sagt furchtbare Sachen auch gegen die eigene Regierung. Menschen sitzen im Gefängnis. Wenn er die Handelsbeziehungen zu Europa kaputtmacht, zerstört er den Welthandel. Das ist wirklich gefährlich.

Sergey Lagodinsky: Trump definiert Amerika um. Er hetzt gegen Teile seiner eigenen Bevölkerung. Für ihn soll Amerika weiß sein. Damit zerstört er das Positive an Amerika.

 

Madeleine Henfling: Was müssen wir tun, damit der Rechtsruck nicht zu stark wird?

Sergej Lagodinsky: Ich glaube nicht daran, dass wir einen großen Wurf machen werden, sondern wir gehen Schritt für Schritt voran. Wir werden unsere Realität nicht zurückdrehen. Die politischen Diskurse werden emotionaler, flacher, binärer. Wir müssen diese Politik, die wir machen, im Bewusstsein darüber machen, dass wir den Wandel steuern und mitgestalten müssen. Hier müssen wir die Verantwortung übernehmen und breiter gucken.

Julie Smith: Wir befinden uns in einem transformativen Moment, alles ist im Wandel. Einige Institutionen werden auch in Zukunft weiter existieren (z.B. die EU, die Nato), doch die Frage ist: Wie werden die Nationen in Zukunft miteinander reden? Ich mache mir Sorgen, dass wir in den kommenden Jahren alle Zeugen davon werden, dass die liberale Ordnung geschwächt wird. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mit neuen Technologien, mit künstlicher Intelligenz, umgehen. Wie schützen wir unsere Werte? Ich sehe keine*n, die oder der neue Ideen hat. Auf wen werden wir uns verlassen in diesem transformativen Moment des Wandels? Ich bin jetzt für ein Jahr in Berlin und möchte mir anschauen, welche Ideen dazu aus Europa kommen.