In unserer Interviewreihe zur aktuellen Situation der Revolution im Iran erzählt uns Parmida* über ihre Perspektive auf die Geschehnisse aus Thüringer Sicht.
Wer bist du und was verbindet dich mit dem Iran?
Ich heiße Parmida und ich komme ursprünglich aus dem Iran. Ich bin in Teheran geboren. Als ich knapp drei Jahre alt war, ist meine Familie nach Deutschland geflohen. Natürlich kann ich mich nicht an meine ersten Jahre in Teheran erinnern und hatte in der Schule, mit meinen Freund*innen und mit meinem deutschen Umfeld keinen direkten Bezug zum Iran. Meine Familie hat sich aber große Mühe gegeben, dass ich sowohl sprachlich als auch kulturell den Iran kennenlerne. Zuhause spreche ich mit meinen Eltern nur persisch. Als ich jünger war, hatte ich nach der Schule immer Iranisch-Unterricht, um das Lesen und Schreiben zu lernen. Außerdem hatte ich schon immer sehr viel Kontakt zu meiner restlichen Familie im Iran und kenne die persische Küche und Kulturszene ziemlich gut, einfach weil ich damit aufgewachsen bin.
"Es braucht Hochdruck auf internationaler Ebene"
Wie würdest du den aktuellen Stand der Revolution im Iran beschreiben?
Die aktuelle Situation im Iran erschreckt und freut mich gleichzeitig. Es ist so wichtig, dass Menschen auf die Straße gehen. Es ist toll zu sehen, dass sich überall auf der Welt Menschen anschließen und ihre Solidarität aussprechen. Schilder basteln, Redebeiträge formulieren und mit konkreten Aktionen Forderungen an ihre eigene und die iranische Regierung stellen. Natürlich ist es auch schon längst überfällig, dass die ganze Welt mit ihren Augen auf den Iran und die Taten des Regimes blickt. Aber es ist auch sehr erschreckend jetzt genauer zu sehen, was passiert. Menschen werden brutal umgebracht, Leichen versteckt, Familien gefoltert und vieles mehr. Menschen, die auf die Straße gehen, fürchten ihr Leben. Denn sie können nicht darauf vertrauen, dass ihr eigener Staat – ihre eigenen Mitmenschen – nicht schießen und auf sie einschlagen, wenn sie sich gegenüberstehen. Wir können uns das alles gar nicht vorstellen, auch wenn wir gerade einen vergleichsweise ungefilterten Blick auf die Proteste und ihre konkreten Erscheinungsformen haben können. Die Proteste halten noch immer an, aber mich verunsichert, dass es bisher noch keine politische Strategie zu geben scheint. Die Menschen können so nicht mehr weiterleben und drücken ihren Frust, ihre Wut aus. Es braucht aber auch Hochdruck auf internationaler Ebene. Es braucht Menschen, die konkrete Vorschläge machen, organisieren und vernetzen. Solidaritätsbekundungen von staatlichen Akteuren sind eine schöne Geste, aber es braucht noch viel mehr, damit ein Regimewechsel absehbar wird.
Wie nimmst du die Perspektive Deutschlands auf die Geschehnisse im Iran wahr, sowohl in den Medien als auch in deinem Umfeld?
In meinem Umfeld sehe ich tendenzielles Interesse, die Situation zu verfolgen und nachzuvollziehen. Ich sehe aber auch, dass mein Umfeld besonders politisch engagiert ist und nicht die Perspektive der Mehrheit spiegelt. Beim Hören von Podcasts, den Nachrichten oder Gesprächen mit Menschen war und bin ich oft enttäuscht, dass der Iran nicht oder nur wenig thematisiert wird. Zur Zeit der Berliner Großdemonstration wurde sehr viel berichtet, große Solidarität und enormes Interesse gezeigt. Vor und nach dieser Zeitspanne ist mir aber aufgefallen, dass ich nur so viel vom Iran mitbekomme, weil ich ganz gezielt nach Informationen suche und mit vielen Menschen aus dem Iran in Kontakt stehe, die auch posten und berichten. Auch von Menschen in meinem Umfeld wünsche ich mir manchmal größeres Interesse. Denn ja, natürlich macht es auch viel mit einem selbst, wenn man tagtäglich von Brutalität, Angst, Mord und Hoffnungslosigkeit mitbekommt, Sprachnachrichten hört und schreckliche Videos sieht, aber nicht darüber reden und so Geschehnisse verarbeiten kann. Die Proteste geraten immer wieder viel zu schnell in Vergessenheit und das ist die große Gefahr. Die hohe Aufmerksamkeit muss aufrecht gehalten werden, um politische Akteur*innen zu Taten zu mobilisieren und die Menschen vor Ort zu unterstützen. Dahingehend schöpfen wir unser Potenzial längst nicht aus.
"Auch in Thüringen gibt es gut vernetzte Anlaufstellen"
Was können wir jetzt tun, um die Revolution von hier aus Deutschland oder Thüringen zu unterstützen? Was würdest du dir wünschen?
Informieren, Thematisieren, Teilen. Oft vergessen wir alle, dass Politik Gesellschaft – und Gesellschaft Politik ist. Dass wir Politik gestalten können. Indem wir sprechen und problematisieren, setzen wir Themen auf die politische Agenda. Je lauter wir sprechen und fordern, desto stärker stehen politische Akteur*innen unter Druck zu handeln. Und das fängt schon im kleinen Kreis an.
Es bringt sehr viel, Beiträge und Informationen zu teilen, um das Wissen weiterzutragen und Diskussionen anzuregen. Dadurch stärken wir, dass sich Meinungen, Forderungen und Handlungswillen innerhalb der Gesellschaft bilden.
Es gibt auch schon größere und tolle Organisationen in Thüringen, die sich dem Iran widmen, wie zum Beispiel das Sprachcafé in Erfurt. Es gibt auch die Instagramseite „iranrevolutionth“, die von sehr gut vernetzten Menschen betrieben wird. An diesen Anlaufstellen kann man ganz einfach nachfragen und herausfinden, wo es gerade Unterstützungsbedarf gibt. Auch sie werden mit einer größeren Anzahl an Unterstützer*innen, mehr Ressourcen und Aufmerksamkeit natürlich sichtbarer für die Politik.
"Das Thema ist leider oft zu unsichtbar."
Wie wirkt sich die Revolution im Iran auf deinem Alltag aus?
Ein großer Teil meiner Familie ist im Iran, natürlich bekomme ich dadurch sehr viel mit. Wenn ich morgens aufstehe und aufs Handy schaue, sehe ich Videos von Gewalt und Tod. Ich lese sehr viel zum Thema und versuche immer auf dem neusten Stand zu sein. Auch bei jedem Telefonat mit meiner Familie reden wir über die Geschehnisse und darüber, wie es uns damit geht. Natürlich höre ich da eher zu, denn meine Familienmitglieder im Iran sind viel stärker betroffen als ich. Außerdem bin ich soweit es geht bemüht, auch politisches Engagement zu zeigen und mich aktivistisch zu beteiligen. Außerhalb von Medien, politischen Kreisen und Familiengesprächen ist das Thema aber oft unsichtbar, sodass ich mir den Raum einholen muss, falls ich über die Situation sprechen und meine persönlichen Gedanken teilen möchte.
Was erhoffst du dir für die Zukunft des Irans und alle Iraner*innen im In- und Ausland?
Ich hoffe so viel, dass einige Worte dem nicht gerecht werden können. Ich hoffe, dass die Proteste im Iran wirklich nachhaltige und positive Veränderungen anstoßen. Ich hoffe, dass es dafür nicht noch viel mehr Leid und Tod geben muss. Ich hoffe vor allem, dass die Stimmen der Iraner*innen im Land ganz bedacht gehört werden. Nur sie können berichten, was sie möchten, was ihnen fehlt und was das Richtige für sie ist. Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ist es dann, nicht nur zuzusehen und mit Worten zu urteilen, sondern die Stimmen sichtbar zu machen und sich Strategien einfallen zu lassen, um aktiv Hilfe zu leisten.
*Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt
Das Gespräch führten Marius Dörner und Isabella Gee im Januar 2023 schriftlich für die Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen.