Commons in Thüringen

Teaser Bild Untertitel
Quelle: Eigenes Foto

Während bei der Commons Sommerschule in Bechstedt in der dörflichen Abgeschiedenheit einerseits das Diskutieren und Erarbeiten von Inhalten im Mittelpunkt stehen, spielt zugleich auch die Einbettung in die lokalen Netzwerke und in die strukturellen Herausforderungen vor Ort eine zentrale Rolle.

Sommerschul-Gastgeber Burkhardt Kolbmüller lebt seit vielen Jahren in Bechstedt und kennt neben den Herausforderungen vor allem auch die gemeinschaftlichen Projekte und Initiativen in der Region. Diese finden sich mit der Kulturscheune, dem offenen Garten und der Mosterei schon auf dem KulturNaturhof, dem Veranstaltungsort der Sommerschule, wieder.

Bechstedt liegt im Schwarzatal, welches als strukturschwache Region beschrieben werden kann. Wie viele andere Region in Ostdeutschland ist auch sie mit den Herausforderungen der fortschreitenden Urbanisierung konfrontiert. Immer mehr junge Menschen ziehen in die Städte und lassen schrumpfende Dörfer zurück. Durch diese Entwicklungen entstehen freie Gestaltungsräume für Eigeninitiative und Selbstorganisation. Dabei können Commons ein Konzept sein, das aufzeigt, welche Rahmenbedingungen für Selbstorganisation erfolgsversprechend sind.

 

Ein Gespräch mit Burkhardt Kolbmüller.

Mit welchen Herausforderungen ist die Region Schwarzatal als strukturschwache Region konfrontiert?

Burkhardt Kolbmüller: Viele Regionen in Thüringen sind tendenziell strukturschwache Regionen. Das hängt mit dem Trend zusammen, dass immer mehr Menschen in die Städte ziehen und die Regionen dadurch mit verschiedenen Problemen hinsichtlich der Infrastruktur und der Daseinsvorsorge konfrontiert sind. Dies betrifft z.B. die Betreuung von alten Menschen, was auch bei der Sommerschule thematisiert wurde. Das sind Prozesse, die verstärkt in Ostdeutschland ablaufen, die in Zukunft aber auch in vielen westlichen Regionen auftreten werden.

Hier bei uns in Bechstedt sind die Probleme nicht so groß. Durch die Bahnanbindung haben wir eine wunderbare Infrastruktur und sind gut erreichbar. Über die LEADER-Aktionsgruppe haben wir zudem Netzwerke, die sich gut entwickeln und die einiges abfedern können.[1]

Im Bereich der Daseinsvorsorge hat es Einhegungsprozesse gegeben. Dinge, die in vergangenen Jahrhunderten die Gemeinschaft regelte, sind zunehmend privatisiert worden. In Zukunft wird sich die soziale Daseinsvorsorge verändern und weiterentwickeln. Die Gemeinschaft wird dabei eine größere Rolle spielen. Hier in der strukturschwachen Region, und mit Verzögerung auch in den urbanen Zentren, wird die Gemeinschaft auf einer neuen Basis wieder Dinge übernehmen, für die sie auch ursprünglich einmal gesorgt hat.

Vor 200 oder 300 Jahren gab es festgefügte Familienstrukturen, in denen es immer jemanden gab, der sich um die Kinder kümmerte. Die Alten wurden in der Familie gepflegt, was Vorteile hat.

Mit der heutigen älteren Generation beginnt die Auflösung derartiger Strukturen. Stattdessen entstehen mehr und mehr Wahlverwandtschaften, die auf freigewählten Zusammenschlüssen im Freundeskreis in familienähnlichen Strukturen gründen. Menschen werden sich vor Ort organisieren, sodass die Pflege nicht einer Firma oder einem Pflegedienst übergeben und Geld dafür bezahlt wird. Stattdessen werden wieder die direkten Bezüge vor Ort zum Tragen kommen.

Die Zukunft wird da sehr vielfältig sein. Neue Formen von Gemeinschaften, Genossenschaften und Wohnprojekten werden wieder eine größere Rolle spielen als derzeit. In jedem Ort wird das unterschiedlich verlaufen. Dabei ist es wichtig zu experimentieren, Leute zu finden und zu befähigen, anzuregen, ihre Sachen wieder in ihre eigenen Hände zu nehmen.

Welche aktuellen Entwicklungen gibt es in Thüringen in Bezug auf den Umgang mit den Herausforderungen strukturschwacher Regionen?

Burkhardt Kolbmüller: Bei dieser Frage ist vor allem die Internationale Bauausstellung (IBA) von Bedeutung, welche in Thüringen mit dem Schwerpunkt „Wandel wird Kulturlandschaft“ ausgerichtet werden soll. Dabei wird der ländliche Raum und der demographische, soziale und sozioökonomische Wandel zum Thema gemacht. Wenn das IBA-Konzept so umgesetzt werden sollte, dann könnten interessante Möglichkeiten auch für Gemeinschaftsprojekte im ländlichen Raum entstehen. Bisher haben bei der IBA meistens urbane Räume eine Rolle gespielt, aber welche Herausforderungen und Möglichkeiten gibt es im ländlichen Raum? Da könnte das Commons-Thema auch sehr gut reinpassen.

Worin liegen die Bedeutung und der Beitrag der Commons Sommerschule für die Region?

Burkhardt Kolbmüller: Es wäre toll, wenn wir die Commons Sommerschule hier dauerhaft als eine Denkwerkstatt etablieren könnten.

In Thüringen sind in den vergangenen Jahrhunderten eine ganze Reihe innovativer Ideen entstanden: die Reformation, das Bauhaus, die Klassik in Weimar, die Romantik in Jena. Ulrich Grober hat in seinem Buch „Die Entdeckung der Nachhaltigkeit“ die wesentlichen Eckpunkte des Nachhaltigkeitsdiskurses hier in Thüringen verortet. Thüringen war immer ein kreatives Labor.

Insofern kann die Commons Sommerschule als Denkwerkstatt einen Platz in diesem kreativen Labor einnehmen.

Daneben ist auch für die Menschen hier in der Region der Austausch und die Begegnung wertvoll. Bei unserem Wandertag während der Sommerschule haben wir den Bürgermeister von Königsee getroffen, der uns zur Genossenschaftssitzung in Rottenbach eingeladen hat. Die Ideen und das Wissen der Teilnehmenden der Sommerschule werden hier gerne aufgegriffen.

In Zukunft wollen wir auch dieses Netzwerk hier vor Ort noch mehr zum Austausch einladen. Dafür wünsche ich mir, dass wir die Sommerschule hier dauerhaft etablieren können.

Gibt es Ansätze von Selbstorganisation im Sinne von Commons in der Region Schwarzatal?

Burkhardt Kolbmüller: Auch wenn man hier in der Region vielleicht nicht direkt von Commons sprechen kann, haben wir in den letzten Jahren doch mit unserer Zukunftswerkstatt und verschiedenen Folgeprojekten, z.B. den offenen Gärten, vieles auf den Weg gebracht. Das trägt sich ohne jedes Fördergeld. In diesem Jahr haben beim „Tag der offenen Gärten“ neun Gärten im Schwarzatal ihre Türen und Tore geöffnet, um Gäste zu begrüßen. 200-300 Gäste haben unseren und die anderen Gärten besucht. Daraus ist ein Netzwerk von ganz verschiedenen Personen entstanden.

Hinzu kommt, dass wir im letzten Jahr hier in Bechstedt unsere Heizgenossenschaft gegründet haben. Damit sind wir eines von zwei Bioenergiedörfern in Thüringen, die eine autarke Wärmeversorgung anstreben. Wir beheizen das Dorf mit einem Heizkraftwerk auf Hackschnitzelbasis und produzieren mit einem Blockheizkraftwerk Strom. Nach anfänglich langen Diskussionen machen heute mehr als zwei Drittel der BewohnerInnen des Dorfes mit. Das hat die Leute zusammengebracht. Die bestehende gute Nachbarschaft hier im Dorf hat das Projekt wiederum überhaupt erst ermöglicht.

Außerdem haben wir auch noch unseren Stammtisch Zukunftswerkstatt, wo wir uns alle sechs bis acht Wochen treffen, um uns auszutauschen und um das gegenseitige Netzwerk zu verstärken.

In diesem Kontext sollte der KulturNaturhof nicht unerwähnt bleiben. Was ist die Idee hinter dem Namen „KulturNaturhof“?

Burkhardt Kolbmüller: Es ist die Idee, hier eine offene Lebensform zu versuchen, offen für Gäste, für Veranstaltungen, für Konzerte im Dorf. Dabei ist Kultur ein wichtiger Mittler, z.B. wenn wir Konzerte machen und das Dorf kommt. Dafür haben wir unsere Scheune als Kulturscheune für Veranstaltungen hergerichtet, was gut angenommen wird.

Daneben steht der Naturbezug, der hauptsächlich das Obst betrifft. Überall in der Landschaft stehen hier Obstbäume, weshalb wir letztes Jahr die Mosterei eingerichtet haben. Über die Nutzung wollen wir eine Wertschöpfung generieren. In der ersten Saison letztes Jahr haben wir auf Anhieb 12.000 Liter Saft gepresst.

Es geht bei der Verbindung von Kultur und Natur natürlich auch um eine Form von Kulturlandschaft - Kultur nicht nur im Sinne der Kulturscheune, sondern auch als die Landschaft, die uns interessiert.

Veranstaltungen wie die Sommerschule sind für uns eine große Bereicherung, wenn eine Gruppe für eine Woche herkommt und man interessante Gespräche führt. Unser Garten und die Scheune bieten sich auch für verschiedene Kleingruppenarbeiten an. Das ist in einem traditionellen Tagungshaus so gar nicht möglich.

Interview: Svea Blieffert

 

Burkhardt Kolbmüller ist Manager von EU-Projekten und betreibt das SALVE consult Büro für europäische Projekte in Weimar. Seine Spezialität liegt in der Planung, Beantragung und Koordinierung von europäischen Projekten im Kultur- und Bildungsbereich. Er hat Kulturwissenschaft in Leipzig studiert. Burkhardt Kolbmüller ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der Weimar-Jena-Akademie und des Heimatbundes Thüringen. Seit 2000 ist er außerdem als organisatorischer Leiter der Weimarer Sommerkurse tätig.

Svea Blieffert besuchte die Commons Sommerschule 2013. Sie studiert Nachhaltigkeitswissenschaften in Lüneburg und beschäftigt sich mit der Gestaltung von Lern- und Begegnungsräumen. Sie organisiert Skill Sharing-Seminare und hat eine Ausstellung zum Thema Schenken entwickelt  

[1] Anm: „LEADER“ steht für: „Liaison entre actions de développement de l'économie rurale“ - Sinngemäß übersetzt bedeutet dies: „Vernetzte Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft“. Mehr Informationen unter: www.leader-saalfeld-rudolstadt.de