Seit einigen Jahren gibt es das Phänomen der sogenannten Youtuber. Über zwei Millionen Menschen sehen sich regelmäßig die Videos des aktuell erfolgreichsten deutschen Youtubers "LeFloid" an. Dort kommentiert er sehr subjektiv das tagesaktuelle politische Geschehen und Internetphänomene. Das alles in einem hektisch geschnittenen Stil mit kleinen Einspielern und vielen Gimmicks. Sein wichtigstes Markenzeichen wie auch das aller Youtuber ist die zur Schau getragene Subjektivität sowohl bei der Auswahl der Themen als auch in der Kommentierung.
Aber es gebe ja auch keine objektive Berichterstattung im Journalismus, relativiert der „klassische“ Journalist Martin Debes, Politikredakteur bei der Thüringer Allgemeinen. Journalistische Artikel seien auch subjektiv geprägt: Die klare Trennung von Nachricht und Kommentar habe sich in den letzten Jahren in nahezu allen deutschen Medien immer mehr aufgelöst. Die Einordnung und die Wertung finden schon im Artikel statt. Das sei auch in Ordnung, findet Debes, da die Leute klug genug seien, das zu verstehen.
Und überhaupt: So neu sei das Youtuben auch nicht. Es handele sich dabei nur um das Spiel mit bekannten Genres in einem neuen Medium. So machten viele Youtuber beispielsweise typische Boulevard-Stories. Die Basis sei bei den Youtubern immer klassischer Journalismus – der Unterschied zu den Journalisten ist nur: Bei den Youtubern wird er nicht mehr produziert, sondern nur noch für die Bedürfnisse der Zielgruppe „konfektioniert“.
Das bestätigt auch der Youtuber Kwink. Er hat einen YouTube-Kanal mit über 26.000 Abonennten und berät die Produktionsfirma „Endemol beyond“ als Youtube-Experte. Er sagt: „Es ist defintiv so, dass Journalismus die Basis von allem ist – viele Youtuber könnten ohne Journalismus nicht existieren.“ Die Youtuber sind in seinen Augen nur die Aufbereiter des Ganzen für andere Schichten. Auch bei der „Heute Show“ des ZDF werde ja schließlich journalistischer Inhalt nur neu aufbereitet.
An diesem Beispiel wird für Debes jedoch deutlich, was das eigentliche Problem ist: „Es handelt sich nicht um eine Journalismuskrise, sondern um eine Bezahlkrise.“ Die Macher der Heute-Show hätten schließlich den Kanal der DPA abonniert und würden für die Inhalte bezahlen, über die sie sich lustig machen. Im Netz aber sei die Erwartung entstanden, dass man alles gratis bekommen könne: „Wenn Dinge im Internet funktionieren, dann darüber, dass Inhalte geklaut wurden.“ Als klassisches Medium brauche man das aber nicht zu bejammern, sondern müsse überlegen, wie man es schafft, dass die Leute im Internet für die Inhalte zahlen. Die wichtigste Frage sei daher, wie die Wertschöpfung, die der Journalismus darstellt, im Netz wieder bezahlt werden kann.
Immer wieder versuchten Verlage Modelle zu entwickeln, wie das funktionieren könnte – regelmäßig werden diese Versuche nach einigen Monaten wieder eingestellt. Debes glaubt nicht mehr daran, dass in diesem Trial-and-Error-Verfahren ein funktionierendes Modell entsteht. Das sei ein wichtiger Transformationsprozess, der geregelt werden müsse. Er hofft darauf, dass der Staat regelnd eingreift. Es sollte eine politische Debatte darüber stattfinden, wie das in Zukunft geregelt werden könnte. Die Verlage und die Politik seien in der Pflicht, darüber zu reden.
Momentan machen die Zeitungsverlage mit ihren Internetauftritten kein Geld. Sie verdienen im Wesentlichen über Abonnements und verkaufte Exemplare. Doch das junge Publikum bricht durch das Angebot der neuen Medien zunehmend weg. Deshalb werden bei den meisten Regionalzeitugnen die Abopreise erhöht und immer mehr beim Personal gespart, erklärt Debes. Für die meisten Regionalzeitungen seien bereits wesentlich weniger Journalisten unterwegs. Weniger Stimmen führen letzten Endes auch zu einer geringeren Meinungsvielfalt und einer geringeren Attraktivität für die Leser.
Ob Youtuber dies ausgleichen können, ist fraglich. Was bei den Youtubern offensichtlich fehlt, ist die redaktionelle Kontrollinstanz. So kam es beispielsweise vor, erklärte Kwink, dass der Youtuber LeFloid seinem Millionenpublikum berichtete, dass Wladimir Putin demnächst 9/11 aufklären werde. Dass dies jedoch nur eine Ente war, stellten erst die „klassischen“ Journalisten des Bildblogs kurz darauf klar.
Ein weiteres Problem sei, dass bei Youtube-Videos oftmals unklar sei, wer hinter den Videos stecke. Das sei ein Problem, so Kwink, mit dem die Community gerade zu kämpfen habe. Bei Endemol Beyond habe man die Regeln vom Fernsehen übernommen. Bei Beauty-Kanälen sei beispielsweise oft unklar, ob dort für die Bewerbung eines Produktes Geld geflossen sei. Auch bei Gaming-Kanälen sei die Grenze zwischen Spieletest und Werbung fließend.
Das passiert aber auch im „klassischen“ Zeitungsjournalismus. Durch den beschriebenen Personalabbau würden die Artikel zwischen verschiedenen Zeitungen eines Verlags immer häufiger untereinander ausgetauscht, konstatiert Debes. Auch werden dadurch externe Inhalte von Unternehmen leichter aufgegriffen – allerdings nicht als Anzeige oder um Geld zu erhalten, sondern hauptsächlich um Inhalte zu bekommen, ohne recherchieren zu müssen. Das geschehe allerdings meist nicht im Politikteil, sondern eher in den Verlagsbeilagen, die von der Anzeigenabteilung gestaltet werden. Der Druck sei aus finanziellen Gründen ganz einfach da. Es gebe aber auch ganz klar definierte Regeln. Im Großen und Ganzen würden diese Regeln, laut Debes, bei großen überregionalen Zeitungen und im Fernsehen auch eingehalten. Im Vergleich dazu sei Youtube noch der „Wilde Westen“.
Und wie im Wilden Westen gibt es auch im Internet einen Mob mit Fackeln und Heugabeln. Dieser finde sich in den Kommentaren und auf den Facebook-Seiten der Zeitungen. Für Debes gibt es eine Steigerungslogik der Kommentare im Internet: „Wenn der das schon gesagt hat, dann kann ich das noch toppen.“ Die Debattenkultur werde durch das Internet auf eine extremere Ebene gebracht. Deshalb werde bei vielen Zeitungen die Kommentarfunktionen unter Artikeln abgestellt.
Auch Kwink kennt dieses Phänomen. Als einzelner könne man die Moderationsarbeit bei Youtube-Videos fast nicht mehr leisten. Hinzu komme, dass die Menschen im Internet oft in einer „Filter-Bubble“ leben: Sie lesen nur noch Medien und schauen nur Kanäle, die ihre Meinung bestätigen. Wenn diese Nutzer dann andere Meinungen lesen, werden sie umso aufgebrachter und agitierter. Mancher Youtuber sei sich aber auch nicht bewusst, dass seine Auftritte reale Emotionen und reale Reaktionen schüren können. In Emden habe sich beispielsweise nach dem Mord an einem 11-jährigen Mädchen ein Lynchmob vor der Polizeistation gebildet in der ein – wie sich später herausstellte: unschuldiger – Verdächtiger eingesperrt war. Solche Situationen sollten den Youtubern zu denken geben.
Für Debes ist das allerdings auch kein neuer Mechanismus: Das sei eine Kampagne des Boulevard-Journalismus, die bei Themen wie Sexualstraftaten oder Einwanderung gestartet werde. Das machen eben auch die heutigen Youtuber. Debes erinnert aber auch daran, dass es viele wertvolle Diskussionen in den Kommentaren von Blogs oder Zeitungen gebe. Nur bei bestimmten Themen versammele sich eben der Mob. Das sei letzten Endes auch nur ein Spiegel der Gesellschaft.
Die grundlegende Frage bei diesem neuen Medium ist für ihn: „Wird das, was klassische Zeitungen lange ermöglicht haben, nämlich guten Journalismus zu finanzieren, auch online möglich sein?“ Bisher funktioniere dies – neben den vergeblichen Versuchen der Verlage – in Deutschland nur über Spenden und Crowdfunding. Im englischsprachigen Raum gebe es da mehr Angebote, erklärt Kwink. Dort können einige gute journalistische Internetangebote bestehen, weil sie von großen Fernsehsendern unterstützt werden. Im deutschsprachigen Raum sehe er da mittelfristig schwarz – kritischer Journalismus sei eben eine Kostenfrage. Bei dieser Frage scheint das Verbreitungsmedium – ob Regionalzeitung oder Youtube-Kanal – letzten Endes irrelevant zu sein.