Wer haftet für die Folgen des Klimawandels? Weder Völkerrecht noch nationale Gesetze regeln, wie Betroffene entschädigt werden. Eine Frage, die auch in Paris diskutiert werden muss.
Im Jahr 24 nach Verabschiedung der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) hat sich in Sachen Klimaschutz und Recht viel getan, und zwar sowohl international als auch in Deutschland bzw. der EU. Die UNFCCC ist in Kraft getreten, das Kyoto-Protokoll von 1997 mit seinen flexiblen Mechanismen ebenfalls. Detailliertes Völker-Verfahrensrecht reguliert inzwischen den internationalen Emissionshandel und die Berechnung von Emissionen aus Landnutzungsänderungen.
Inzwischen ist sogar global das 2° C-Ziel fast einstimmig als notwendige Begrenzung der globalen Temperaturerhöhung anerkannt, wenn auch umstritten ist, ob der politische Konsens auch in eine rechtliche Verpflichtung umzudeuten ist. In der EU gibt es seit 2003 ein verbindliches Emissionshandelssystem, das die emissionsintensiven Sektoren reguliert und Kraftwerke EU-weit mit einer Zertifikatspflicht versehen hat.
Aber das Problem gelöst haben weder Völker- noch nationales Recht. Tatsächlich steigen global die Emissionen weiter, und die Folgen des Klimawandels sind inzwischen real. Kein Betroffener wird dafür bisher entschädigt, und eine Entschädigung oder auch nur Schutzmaßnahmen sind ebenso wenig zugesichert.
Kein rechtliches Vakuum
Bisher ist das Präventionsregime des internationalen Klimaschutzrechts relativ wirkungslos geblieben. Die Hoffnung, dass die Vertragsstaatenkonferenz 2015 dies ändert, besteht zwar, aber damit werden – und das ist wissenschaftlicher Konsens – die Folgen des Klimawandels nicht vollständig abgewendet werden können. Diese Tatsache fällt nicht in ein rechtliches Vakuum. Vielmehr gibt es viele Ansätze im bestehenden Recht und unabhängig vom internationalen Klimaregime, Staaten und Verursacher des Klimawandels zur Verantwortung zu ziehen und zum Handeln oder zum Unterlassen zu verpflichten. Dies betont seit seiner Gründung 2002 das Climate Justice Programme, das Jurist/innen weltweit vernetzt und dazu auffordert, bestehendes Recht zu nutzen – zum Klimaschutz und zum Schutz der Menschenrechte.
In den USA sind seitdem mehrfach Gerichte mit dem Klimawandel befasst worden. Der US Supreme Court hat schon 2007 festgestellt, dass CO2 ein Schadstoff ist. Kohlekraftwerke wurden unter Hinweis auf den globalen Klimawandel verhindert, Schadenersatz- und Unterlassungsbegehren gegen große Emittenten wurden versucht, wenn auch bislang erfolglos. Doch die Anstrengungen gehen weiter, ein Blick in die Datenbank der Columbia Law School belegt das. Zu nennen ist beispielsweise die grundsätzliche Klage des Our Children’s Trust gegen die Regierung und den Präsidenten auf Grundlage der Menschenrechte und der Rechte zukünftiger Generationen.
Nun aber ist eine "Renaissance" der Debatte um die rechtlichen Möglichkeiten auch in Europa zu spüren. Nicht zuletzt die erfolgreiche Klage des Vereins Urgenda vor dem Verwaltungsgerichtshof in Den Haag hat gezeigt, welche Kraft auch von Gerichten ausgehen kann. Das Gericht tat nicht weniger, als der niederländischen Regierung – bislang politisch ungeliebte – Reduktionsziele zu diktieren. Ein peruanischer Hauseigentümer traut sich, gegen den größten europäischen Emittenten anzutreten, um sich selbst und damit auch seine Nachbarn gegen eine bevorstehende Gletscherflut zu schützen.
Mehrere Umweltgruppen haben im September 2015 die erste Menschenrechtspetition gegen 50 der größten Treibhausgasemittenten (Carbon Majors) bei der philippinischen Commission on Human Rights, einem nationalen Gremium zur Überwachung von Menschenrechten eingereicht. Sie machen die Konzerne für die Auswirkungen des Klimawandels mitverantwortlich und betreten rechtliches Neuland, indem sie die Einhaltung der Menschenrechte nicht nur durch Regierungen, sondern auch durch private Konzerne fordern.
Warum jetzt?
Ein Grund neben dem Versagen der globalen Klimapolitik ist sicher die Verdichtung der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Der IPCC erkennt in seinem 5. Sachstandsbericht:
"Human influence has been detected in warming of the atmosphere and the ocean, in changes in the global water cycle, in reductions in snow and ice, in global mean sea level rise, and in changes in some climate extremes (…). It is extremely likely that human influence has been the dominant cause of the observed warming since the mid-20th century."
In Rechtssprache heißt das nicht mehr oder weniger als: Ja, es gibt einen Kausalzusammenhang zwischen den beobachteten Änderungen und den Treibhausgasemissionen. Und über detection and attribution oder so genannte "Fingerprint-Studies" wird inzwischen sogar berechnet, welchen Anteil der globale Klimawandel an der Eintrittswahrscheinlichkeit von Extremereignissen hat. Die Kausalkette – das bisher größte Problem der Rechtsanwender – schließt sich.
Ein weiterer Grund sind aus Sicht der Betroffenen sicher auch die mangelhafte Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen und die Finanzierung derselben. Seit Jahren befindet sich die Staatengemeinschaft in einer Diskussion darüber, ob der Klimawandel wohl Schäden hervorrufen wird ("loss and damage"), und insbesondere die Industrie- und Schwellenländer wollen jede Verantwortungsverteilung verhindern. Sie sperren sich gegen eine Regulierung der – laut IPCC als sicher vorauszusetzenden – Schäden.
Nicht zuletzt aber befähigt die elektronische Globalisierung Menschen in den am stärksten betroffenen Ländern des Südens, sich zu wehren. Internetfähige Handys auf den Philippinen, in Kenia und Peru sind in der Hand derer, die sich heute schon vom Klimawandel bedroht sehen, deren Felder verdorren, deren Häuser von Fluten bedroht sind.
Das Problem verschwindet nicht von selbst. Das hat auch die internationale Juristenvereinigung erkannt. Neben den Klimarecht-Prinzipien der International Law Association (ILA) wurde mit den Oslo-Prinzipien 2014 (Oslo Principleson Global Climate Change Obligations) eine Zusammenstellung von Prinzipien und Regeln des Klimarechts vorgelegt, die unter anderem eine grundsätzliche Einstandspflicht des Staates und der Unternehmen für Schäden beinhaltet. Die ILA und die Oslo-Prinzipien zeigen auf, welche Rechtsnormen und Prinzipien im nationalen Recht und im Völkerrecht gelten. Große Lücken im Klimarecht gibt es danach nicht mehr –es fehlt nur noch die Anwendung. Ob all das zu effektiven Urteilen führt, bleibt natürlich ungewiss. Allerdings ist zum Beispiel das Urgenda-Urteil sicher in vielen Jurisdiktionen wiederholbar. Dasselbe gilt für den bisher unentschiedenen Fall Lliuya. Ob es eine gute Idee ist, wenn Gerichte statt Regierungen die Aufgabe übernehmen, für Klima- und Menschenrechtsschutz zu sorgen, ist eine andere Frage.
Dieser Text stammt aus der aktuellen Ausgabe von Böll.Thema 3/2015 "Die Wende ist machbar. Klimagipfel 2015".
Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem Dossier zum Klimagipfel 2015 in Paris.