Großbritannien wird die EU verlassen. Wie geht es jetzt weiter mit der Europäischen Union? Wie kann der politische Zusammenhalt innerhalb der Union gestärkt werden? Ein Kommentar von Ralf Fücks.
Heute ist ein Schwarzer Freitag für Großbritannien und für Europa. Wir sollten alles tun, damit das britische Referendum nicht als Anfang vom Ende der Europäischen Union in die Geschichtsbücher eingeht. Schon wittern die Le Pens und Wilders Morgenluft und blasen zum finalen Angriff auf die Union.
Die britische Abstimmung über den "Brexit" war ebenso ein Votum gegen die bisherige Form der Globalisierung wie gegen das Projekt einer "immer engeren europäischen Union". Ein beträchtlicher Teil unserer Gesellschaften sucht die Antwort auf globale Standortkonkurrenz und Masseneinwanderung in einem Rückzug auf die Nation. Der Westen krankt an einer Art aggressiver Nostalgie: Vorwärts in die Vergangenheit. Das gilt für Europa wie für die USA.
Wir haben es mit einer Revolte der Verunsicherten gegen die postnationalen Eliten zu tun, mit einem Aufstand der Provinz gegen die Metropolen, mit einem Konflikt zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung. Das war schon bei der Präsidentschaftswahl in Österreich mit Händen zu greifen. Dabei wirkt die Flüchtlingsfrage als Katalysator für nationalpopulistische, antiliberale Bewegungen. Die Antwort darauf kann nicht in der Abschottung Europas liegen, sondern in einer gesteuerten Zuwanderung und einer langfristig angelegten Integrationspolitik.
Das Votum der Briten heißt auch: wir müssen uns intensiver mit den sozialen und kulturellen Spaltungen in unseren Gesellschaften auseinander setzen, bevor sie uns über den Kopf wachsen.
Für die EU bedeutet das britische Referendum voraussichtlich eine lange Periode der Unsicherheit, wie es weitergeht. Die Verhandlungen über einen Austritt Großbritanniens nach §50 EU-Vertrag können sich über zwei Jahre erstrecken. Ob es bis dahin noch einmal einen Umschwung in GB gibt, wenn die wirtschaftlichen und politischen Folgen dieses Schritts deutlich werden, ist offen. Britannien driftet jetzt in eine Periode politischer und ökonomischer Instabilität. Bitte keine Schadenfreude - wir müssen vesuchen, den Flurschaden der gestrigen Entscheidung zu begrenzen.
Außenpolitisch ist das alles ziemlich verheerend. Schon gibt es triumphierende Kommentare, dass der Austritt Großbritanniens das Ende des "transatlantischen Europa" bedeutet und jetzt der Weg für das Gegenprojekt einer "eurasischen Union" unter Führung Russlands frei sei. Es kommt jetzt auch auf die strategische Weitsicht der USA an - es war ein Fehler der Obama-Administration, Europa unter ferner liefen zu behandeln. Man kann nur hoffen, dass auf den Brexit nicht noch Donald Trump folgt. Das wäre das Ende des Westens als politisches Projekt.
Wie geht es weiter mit der EU? Auf die britische Entscheidung mit einem trotzigen "Jetzt erst recht vorwärts zur europäischen Föderation" zu antworten, würde die EU noch stärker auseinandertreiben und die populistische Revolte anheizen. Es geht es jetzt weniger um Verfassungsfragen als um konkrete europäische Projekte, mit denen der Zusammenhalt gestärkt werden kann: Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, Energiewende und ökologische Modernisierung, eine aktive Nachbarschaftspolitik der EU, Digitalisierung und Bürgerrechte, mehr Investitionen in Bildung und Wissenschaft, mehr innere Sicherheit durch europäische Kooperation.
All das muss man in Ruhe diskutieren. Trotz aller Krisen und Rückschläge wird der europäische Zusammenhalt am Ende stärker sein als der nationalpopulistische Wahn. Außerhalb der EU haben wir keine Zukunft, zumindest keine gute.