Zwischen Umdenken und Stillstand

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Quelle: gonzalo deniz_flickr

Koiche Koike ist Agrarwirt aus Fukushima. Er zeigt alte Fotos seines Bauernhofs in Onami, einer Region in der Präfektur Fukushima. 10 Kilometer liegen zwischen Fukushima-Stadt und Koikes Land. Das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ist 60 Kilometer entfernt. Die Region ist bewaldet, Koikes Gärten wirken wild und fruchtbar. Er versorgte Familie und Bekannte mit frischem Obst und Gemüse und legt Wert auf nachhaltigen, biodiversen Anbau. Doch seit der Katastrophe von Fukushima Daiichi ist sein Gelände verstrahlt. Direkt nach dem Unglück floh Koike mit seiner Frau und seinen drei erwachsenen Kindern. Da sein Hof jedoch nicht in der Sperrzone liegt und er seine Tiere versorgen wollte, kehrte Koike mit seiner Frau zurück. Die an und für sich unsichtbare radioaktive Strahlung ist für den erfahrenen Agrarwirt durchaus wahrnehmbar. Viele Tiere sind gestorben. Es ist still, weil das Zwitschern der Vögel fehlt. Insekten bleiben aus und die Pflanzen wirken schlaff und matt.

Die japanische Regierung wirkt überfordert. Sie evakuiert nicht umfassend genug und setzt stattdessen auf Entseuchung. So wurden weite Landstriche „abrasiert“. Die abgetragene verstrahlte Erde wurde jedoch bloß angehäuft und mit einer Plastikplane abgedeckt. Häuser wurden mit Wasser abgewaschen, was jedoch zu einer Verdichtung der Radioaktivität im Grundwasser führt und den Zustand des Hausinneren unverändert lässt. Die Wasserversorgung ist abgeschnitten, der Regen giftig. Vor den Tanks mit Wasser aus nicht verseuchten Gebieten bilden sich Schlangen. Derweil untertreiben die Medien die Gefahr der Strahlung, um Panik zu vermeiden. Deshalb arbeiten viele Menschen weiterhin auf ihren Feldern und essen verseuchtes Gemüse und Reis. Nur für Kinder wird Nahrung importiert. Da die Behörden den Verseuchungsgrad der Erde nicht oder nur selten messen und das Vertrauen der Bevölkerung in die veröffentlichten Werte schwindet, ist der Geigerzähler für viele zum alltäglichen Gebrauchsgegenstand geworden.

Akiko Yoshida versucht für die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth, den japanischen Atomausstieg voranzutreiben. Zugleich setzt sie sich für besseren Schutz und angemessene Entschädigung der Betroffenen ein. Weil sie die Evakuierungspolitik der Regierung für unzureichend halten, haben Yoshida und ihre KollegInnen das POKA-POKA (Wärme) Projekt ins Leben gerufen. Hier werden Eltern und Kinder aus dem mit 1-2 mSv verstrahlten Bezirk Watari in einem Thermalbad im Kurort Tsuchiyu aufgenommen, um zumindest für eine begrenzte Zeit abseits des stark belasteten Gebietes zu leben. Das Projekt finanziert sich allein durch Spenden. Die Regierung stellt keinerlei Mittel für POKA-POKA zur Verfügung.

Der Kontakt zu Menschen vor Ort ist Yoshida sehr wichtig. Dort informiert und vernetzt sie die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich in Reaktion auf den Unfall gegründet haben. Ein wichtiges Vorhaben dieses Jahres werden die Klagen um Entschädigungen an Zivilgerichten sein. Die von TEPCO, der Betreibergesellschaft der Atomkraftwerke, bisher gezahlten Summen hält Yoshida für deutlich zu gering. Auch müsse der Kreis der Menschen, die Anspruch auf Entschädigung haben, ausgeweitet werden. Deshalb sollten die Belastungen in Folge von Niedrigstrahlen neu bewertet werden.

Auf der Ebene der gesamten japanischen Bevölkerung betreibt Friends of the Earth Informationspolitik und ruft zu Protesten und Unterschriftenaktionen auf. Außerdem werden Seminare, auch für MandatsträgerInnen, angeboten. Der Besuch Yoshidas in Erfurt wie auch in anderen deutschen Städten macht deutlich, dass ihre Organisation auch weltweit gut vernetzt ist. Ziel ist, ein internationales Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen zu schaffen, die gemeinsam für eine neue Energiepolitik kämpfen. Besonders zivilgesellschaftliche Akteure in den Entwicklungsländern sollen gestärkt werden. Yoshida denkt weit über ihr Heimatland hinaus und kämpft für den weltweiten Atomausstieg.

Yoshida und Koike erinnern an die Verantwortung der heute erwachsenen gegenüber den nachfolgenden Generationen und fordern mit Nachdruck die Stilllegung aller Atomkraftwerke. Dass zahlreiche junge JapanerInnen nun auf die Straße gehen, zeigt, dass der Appell nicht ungehört verhallt.

Die Veranstaltung fand am 1. März 2012 in Kooperation mit dem BUND Thüringen statt.

 

Radioactivists, Film über die japanische Anti-Atom-Bewegung