Die Arena der Zukunft präsentierte sich in der Defensionskaserne auf dem Petersberg
„Die Kaserne wurde bestimmt extra für diesen Zweck errichtet“, spottete das Erfurter Kabarett-Duo Kalter Kaffee. „Es war wohl auch extrem schwer, sie in diesem Used-Look zu bekommen.“ Die diesjährige Arena der Zukunft der Heinrich-Böll-Stiftung fand in einer eher ungewöhnlichen Umgebung statt: In der verfallenen Defensionskaserne auf dem Petersberg. Sie bot jedoch gerade die passende Atmosphäre, um zwischen alternativer Subkultur und zukunftsweisendem Lebensstil zu vermitteln. So konnte dort Guerilla Gardening neben Elektrorollern präsentiert werden.
Die Kaserne selbst steht seit Jahren leer und es wird darum gestritten, was mit ihr geschehen soll. Für die „Arena der Zukunft“ bot sie jedoch genügend Raum, um als Ausstellungsraum zu dienen – die erste Galerie in einer ehemaligen Kaserne. Im Erdgeschoss wurde, in Kooperation mit dem Kunsthaus Erfurt, Streetart mit einem Hang zur popkulturellen Reminiszenz präsentiert: Von der Decke hängende Gummi-Playstation-Imitate, die durch einen Ventilator zum Schwingen gebracht wurden, liebevoll ausgestaltete Tischtennisschläger, deren Noppenmuster zu Bildern und Tags ausgestanzt wurden, und herabhängende karierte Streifen, die wie ein Fliegenvorhang die Räume teilten. Im zweiten Stock wurde Kunst mit quasi-ökologischem Anspruch ausgestellt. Die „Staubserie 2010“ des Künstlers Björn Jung beispielsweise nutzte die Feinstaub-Konzentration in der Luft, um daraus Bilder auf Blättern entstehen zu lassen. Die Werkzeuge des Guerilla Gardening, der als Spazierstock getarnte „Plant’n’Go“-Saatstempel, wurden ebenso vorgestellt, wie „blühende Böller“ zum Mitnehmen verteilt und Anleitungen zur Herstellung von Moosgraffiti gegeben. Außerdem konnte die Wanderausstellung der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema „Klima wandelt Thüringen“ komplett betrachtet werden.
Auf dem Vorplatz der Kaserne präsentierten sich verschiedene Vereine, die sich nachhaltigen Projekten widmeten. Der Verein „Viva con agua“ versucht beispielsweise für die Problematik des sauberen Trinkwassers und der sanitären Grundversorgung in den Entwicklungsländern zu sensibilisieren. Er sammelt Spenden auf eher ungewöhnliche Weise: Auf Konzerten sollen von den Zuhörern lediglich die Pfandtrinkbecher gespendet werden, das Pfand werde dann eingelöst und an die Welthungerhilfe gespendet. Der Verein Mobile Thüringen zeigte zudem mit Elektromotor betriebene Skateboards (Mobos) und Stehroller (Segways). Außerdem präsentierte er elektrobetriebene Motorräder und Mopeds. Die Betankung mit normalem Steckdosenstrom kostet bei diesen Modellen teilweise nur einen Euro Strom auf 100 Kilometer.
Zugleich wurde auf der Bühne auf dem Vorplatz ein vielfältiges Programm geboten. Zunächst improvisierte die Hochschultheatergruppe Erfurt in einem Recycling-Gewächshaus, das ebenfalls Teil der beschriebenen Ausstellung war, verschiedene Szenen, die aus dem Publikum zugerufen wurden. Wie im Fernsehen konnte so zwischen den Kanälen gewechselt werden: Von der Anti-AKW-Demo über den Zahnarzt zu Bauer sucht Frau.
Im Anschluss gab es den ersten Poetry-Slam auf dem Petersberg. Fünf Teilnehmer traten gegeneinander an, um die Gunst der Zuschauer zu gewinnen. Drei unabhängige Zuhörer sollten die Applauslängen und -stärken messen. In der erste Runde setzten sich folgende Autoren durch: Christian Frank mit einem „Requiem der Vernunft“, das seinen abstrusen Weg zu dieser Veranstaltung schilderte, Almut Nitsch von Kerry mit dem Text „Aus Liebe zum Menschen“, der dem Erwachsen-Werden von rosa -liebenden Girlies gewidmet war, und Matthias Glas mit einer wunderbaren Nachahmung eines Telefonats mit Marcel Reich-Ranicki. In der zweiten Runde gewann Almut Nitsch von Kerry schließlich durch das Applausometer den ersten Poetry-Slam auf dem Petersberg. Neben einer Urkunde gab es eine signierte Ausgabe des Buches „Lebe wild und emissionsfrei“ von Peter Unfried, dem Chefreporter der taz, der direkt danach die Bühne zur Lesung betrat.
Unfried erzählte Geschichten aus dem Leben eines Öko-Konvertiten. Er war durch den Film von Al Gore „Eine unbequeme Wahrheit“ zum Öko konvertiert, obwohl er jahrelang zuvor seinen Bruder belächelt hatte, der ein „Mega-Öko“ war. Nun erlebte er dasselbe mit seinen Freunden, die diesem Wandel misstrauisch gegenüber standen. Sie erklärten sich seinen Sinneswandel damit, dass er „auf die schiefe Bahn geraten sei“. In Unfrieds Augen war ihre Angst, etwas gegen den Klimawandel zu tun, größer als die Angst vor dem Klimawandel selbst. Sie gehörten, genau wie er, der Generation an, die Ironie gebrauchten, um sich die Welt vom Leib zu halten. Durch den Film von Al Gore hatte Unfried erkannt, dass Ironie in der heutigen Zeit kein Mittel des Widerstands mehr sein konnte. Durch seine eigene Bekehrung war er ins Grübeln geraten, wie man denn mehr Menschen für die Ideen der Nachhaltigkeit begeistern könnte. Er etablierte gemeinsam mit seinem Bruder die Kolumne „Ökosex“ in der taz. So wollte er Öko auch unter anderen Gruppen sexy machen. Letztendlich konnten so zwar keine neuen Schichten erreicht werden, da die Leser mit Ökosex einfach schlechten Sex assoziierten, in der Kolumne schrieben er und sein Bruder jedoch regelmäßig über die Schwierigkeiten des Alltags, die ein Umstieg auf eine nachhaltige Lebensweise mit sich bringt. Ob man beispielsweise aus ökologischer Sicht einen Minivan für seine Familie kaufen sollte oder nicht. Und, wie man am besten Menschen anspricht, wenn sie völlig klimablind im stehenden Auto ihren Motor laufen lassen. Oder über die Idee des 50 % Club, dessen Mitglieder versuchen, alles um die Hälfte zu reduzieren, den Fleischkonsum ebenso wie die Flugreisen.
Nach der Lesung sang das Kabarett-Duo Kalter Kaffee aus Erfurt wunderbar satirische Lieder über Zeitarbeiter und gescheiterte Existenzen. Der Aktionstag endete mit dem Erfurter Hip-Hop-Duo „Dekzter und Disstanz“. Vielleicht war ja sogar die Nutzung der Kaserne als Ausstellungs- und Veranstaltungsort – ganz im Sinne der „Arena der Zukunft“ – auch ein zukunftsweisendes Konzept für diesen verfallenen Ort.