„Quicklebendige Diskussion“ – so lautete das Fazit im „Freien Wort“ über die Fishbowl-Diskussion mit den Ministerinnen Birgit Keller (Die LINKE) und Anja Siegesmund (Bündnis 90/Die Grünen). Zu einer Diskussion über die Zwischenbilanz der rot-rot-grünen Regierung im Bereich Ernährung und Landwirtschaft hatten die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen eingeladen.
„Ich bin die Ministerin von 95% konventionellen und 5% Bio-Landwirten“, stellte Birgit Keller zunächst einmal fest. Und fuhr fort: „Die Landwirtschaft in Thüringen sichert 25.000 Arbeitsplätze. Oft ist sie auf dem Land auch der einzige Arbeitgeber.“ Und, so Keller weiter: „Ich kenne keinen Landwirt, der am Morgen in den Spiegel schaut und überlegt: Welches Tier quäle ich heute? Und welches Gift kann ich heute versprühen?“ Trotzdem, so Keller, können sie natürlich die Sorgen der Verbraucherinnen verstehen. Daher arbeite man im Ministerium an der Verbesserung des Siegels „Geprüfte Qualität aus Thüringen“. Zudem möchte Keller auch den Öko-Landbau stärken. „Ich will, dass Bio-Lebensmittel in Thüringen hergestellt werden. Das ist ein großes Potential für unsere Landwirte“. Ob das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ziel, im Jahr 2020 zehn Prozent der Anbaufläche ökologisch zu bewirtschaften, erreichbar ist, lies sie dabei offen. „In den letzten Jahren ist das Vertrauen in die politisch gesetzten Rahmenbedingungen für den Öko-Landbau verloren gegangen.“ Dieses Vertrauen, so Keller, müsse man nun erst einmal wieder herstellen. Helfen soll dabei ein Ende 2015 verabschiedeter „Ökoaktionsplan“ des Ministeriums.
Umweltministerin Anja Siegesmund stellte zunächst heraus, dass die hohe „Ernährungssicherheit in Deutschland global gesehen ein Privileg ist.“ Und das, so Siegesmund, „verdanken wir unserer Landwirtschaft“. Trotzdem gingen in Deutschland die Stickstoffemissionen kontinuierlich zurück, mit einer Ausnahme: Der Landwirtschaft. Diese sind etwa für 95% der Ammoniak-Emissionen verantwortlich. Konflikte mit der Landwirtschaft gäbe es auch beim Gewässerschutz. Aber: Man habe viel dafür getan, dass im Zuge der Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetz die Zukunft der Landwirte, die im Bereich Bioenergie tätig sind, gesichert wird. Grundsätzlich, so die Ministerin, sei sie zudem dafür, alte ideologische Gräben zu verlassen. Mit den alten Strukturen käme man nicht weiter. Man müsse sich zusammensetzen und schauen, wie man „mit visionären Ideen aus der Krise der Landwirtschaft“ komme. Und dürfe gleichzeitig nicht vergessen, dass Landwirtschaftspolitik immer auch Europapolitik sei.
Robert Scheringer, Vorstand der Agrarprodukte Großfahner eG, zeigte sich dagegen zunächst skeptisch, dass es gelingt, den Ökolandbau in Thüringen auszubauen. Der Bereich der Öko- Lebensmittel sei stark unter Druck, weil global erzeugte Öko-Lebensmittel in den Markt drücken.Dem hielt Petra Müller von der Verbraucherzentrale Thüringen entgegen: Viele Verbraucherinnen wollen Bio-Lebensmittel aus der Region und fragen nach, warum es diese nicht gibt. Dies bestätigte auch Reiko Wöllert, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) Mitteldeutschland: Man habe bei vielen ökologisch erzeugten Produkten „eine Nachfrage ohne Ende“. Und der „Preis spiele in der Direktvermarktung kaum eine Rolle“: die Verbraucherinnen seien gerade in der Direktvermarktung bereit, mehr zu zahlen. Trotzdem stehe das Agrarsystem „kurz vor dem Kollaps“ aufgrund der sinkenden Preise, die im Handel erzielt werden. Grund für diesen Kollaps, so Wöllert, ist die Orientierung der konventionellen Landwirtschaft und des Handels auf den Weltmarkt und die damit verbundene Import- und Exportabhängigkeit. Wöllert forderte, kleinere und mittlere Betriebe mehr zu fördern. In dieser Forderung unterstützte ihn Michael Grolm, Imker aus Tonndorf: „Größere Betriebe sind weniger wirtschaftlich und schaffen weniger Arbeitsplätze, greifen aber die meisten Fördermittel ab.“ Ein Ergebnis der Förderpolitik sei es, dass für kleinere und mittlere Betriebe keine Anbauflächen mehr verfügbar sind. Grolm forderte, dass Thüringen ähnlich wie Niedersachsen ein „Gesetz zur Sicherung der bäuerlichen Agrarstruktur“ auf den Weg bringe. Mit einer Reform des Grundstücksverkehrsrechts will Niedersachsen den Preisanstieg bei landwirtschaftlichen Flächen abbremsen und ortsansässigen Bauern ein wirksames Vorkaufsrecht einräumen. Ministerin Keller, die von Grolm mehrfach darauf angesprochen wurde, wollte sich darauf aber nicht verpflichten lassen. Gleiches galt für die von Grolm erhobene Forderung, die Auszahlung von Fördermitteln künftig stärker an die Zahl der Arbeitsplätze als nur an die Hektar der bewirtschafteten Flächen zu binden.
Die Zuhörer der Fishbowl-Diskussion ließen sich davon nicht entmutigen und wechselten fleißig in den inneren Kreis mit den Ministerinnen, um an der Diskussion teilzunehmen. Die Themenvielfalt war groß: von der Frage nach dem Schulessen über den Filtererlass und den Glyphosat-Einsatz bis zurück zur Umwandlung der LPG´s in Agrargenossenschaften und die aktuelle Umwandlung in GmbHs und den damit verbundenen Einkauf von Kapitaleignern.
Vergleichsweise einig wurde sich die Runde dann noch einmal beim Thema „Tierwohl“. So sagte Robert Scheringer von der Agrarpordukte Großfahner, dass aus seiner Sicht nicht die Betriebsgrößen, sondern vor allem Kühe, die eine Leistung von jährlich bis zu 14.000 l Milch hätten, das eigentliche Problem seien. „Ich mache dieses Spiel nicht mehr mit und habe meine Kuh-Herde verkleinert, sagte Scheringer. Er plädierte zudem dafür, die Landwirte in Thüringen nicht auseinanderzudividieren. „Wir müssen gemeinsam schauen, wie wir die Landwirtschaft in Thüringen voranbringen.“ Damit stieß er bei Reiko Wöllert von der AbL auf offene Ohren. Dieser stellte fest, dass der Dialog zwischen der Arbeitsgemeinschaft und den Verantwortlichen unter Rot-rot-grün besser und kontinuierlicher geworden sei. „Aber an konkreten Ergebnissen müssen wir noch arbeiten“.
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