Interview mit Peter Unfried (taz.die tageszeitung)
Herr Unfried, was hat sich in Ihrem Leben geändert, seit Sie „Öko“ sind?
Es ist spannender und besser geworden. Ich bin Teil der wichtigsten Bewegung des 21. Jahrhunderts.
Sie leben mit ihrer Familie und ihrem Drei-Liter-Auto in Berlin. Aber braucht man denn in Berlin überhaupt ein Auto?
Ob "man" ein Auto braucht, kann ich nicht beurteilen.Ich bin der Überzeugung, dass wir unseren Radikalitätsbegriff radikal ändern müssen. Wenn einer sein Auto abschafft oder Vegetarier wird, ist es für ihn eine radikale Veränderung. Für die Gesellschaft und das Klima ist es irrelevant. Gleichzeitig werden viele Menschen ausgeschlossen, weil sie das nicht leisten können oder wollen. Wir brauchen quantitative Radikalität, also Millionen, die weniger Auto fahren und weniger Fleisch essen. Mein persönliches Ziel ist, in den Bereichen Strom, Wärme, Mobilität und Fleischessen in zwei Jahren 50 Prozent Dekarbonisierung zu erreichen. Ob ich das mit einem 1,5 Liter-Auto schaffe oder indem ich nur noch die Hälfte fahre, ist dabei egal.
Eines Ihrer Bücher heißt „Öko – Al Gore, der neue Kühlschrank und ich.“ Wie kamen Sie gerade auf Albert Gore?
Er kam zu mir. Ich sah Gores Klimawandel-Dokumentarfilm "An Inconvenient Truth" 2006 in einem Kino in Kalifornien. Danach konnte ich den Klimawandel nicht mehr ignorieren.
Eines der Kapitel in diesem Buch heißt: „Machen bewusste Konsumenten Waren und Markt besser?“ – Welche Antwort haben Sie darauf?
Ja.
Was unterscheidet den „neuen Öko“ vom „alten Öko“ – außer, dass er sich besser kleidet?
Das Bürgertum und die gesellschaftliche Mitte in Deutschland werden im Moment neu bestimmt - und damit auch die Werte unserer Gesellschaft. Der Öko-Faktor, zunächst im Denken, demnächst auch im Handeln, wird ein wichtiger Wert - auch weil er Sinnstiftung jenseits von Religionen und Ideologien verspricht. Dieser Ökofaktor wird aber heute - im Gegensatz zu Alt-Ökozeiten - nicht mehr als "links" verortet, er entzieht sich den anachronistischen Kategorien links und rechts. Damit einher geht der derzeitige Aufstieg der Grünen. Die neuen Wähler der Grünen verordnen die Partei weder links noch rechts, sondern sehen das Bekenntnis zur ökosozialen Transformation als notwendige Modernität.
Sie sagen, der ökologische Lebensstil muss für den Einzelnen attraktiver werden. Wie kann das erreicht werden? Kann „Öko“ wirklich cool sein?
Kann jemand "cool" sein, der nicht Öko ist? Ich fürchte, nein.
„Diese vernünftigen Leute…“ nennen Sie Kretschmann und seine neue grüne Regierung. Bewunderung oder Stichelei?
Beides. Die baden-württembergischen Grünen scheinen mir keine ausgesprochene Kreativ-Boheme zu sein. Gleichzeitig widerlegen sie mit ihrer Normalität die angestaubten Grünen-Klischees, mit denen immer noch viele Leute und Medien operieren. Baden-Württembergs Grüne sind inzwischen der progressive Mainstream der schwäbischen und badischen Städte. Und Winfried Kretschmann hat das Potential und die Chance, das Denken der deutschen Gesellschaft grundlegend zu verändern.