Umweltpolitische Diskussionen können langweilig sein. Alle sind einer Meinung und keiner hat Lust zu streiten. Lieber wird über die abwesenden und uneinsichtigen Dritten geklagt. Zum Abschluss werden dann noch hoffnungsvolle Appelle an diese gerichtet. Der politische Salon der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema „Warum wir täglich die Welt nicht retten?“ bot hierzu eine erfreuliche, weil streitlustige Ausnahme. Auf dem Podium diskutierten Dr. Michael Bilharz, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Umweltbundesamt, Thomas Hölscher, Geschäftsführer der Naturkost Erfurt GmbH und Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Carsten Rose, Moderator bei Radio Frei.
Der besondere Charakter der Diskussion lag im Wesentlichen an Michael Bilharz, der den Advocatus Diaboli spielte. Selbst mit umweltpolitisch reiner Weste, wollte er dennoch nicht, dass alle Menschen seinen Lebensstil übernehmen: Er lebt mit seiner Familie klimaneutral, besitzt kein Auto und ist noch nie in seinem Leben geflogen. Er unterscheide dafür zwischen Lebensstil und Lebensweise. Den individuellen Lebensstil könne man niemandem vorschreiben, allerdings sollte sich die Lebensweise daran orientieren, wie viel Energie und Ressourcen uns überhaupt zur Verfügung stehen. Hier müsse der Zeigefinger hin! Aktuell betragen die jährlichen CO2- Emissionen in Deutschland im Durchschnitt pro Kopf elf Tonnen, alleine 1,7 Tonnen bedingt durch Ernährung und 2,5 Tonnen durch Mobilität. Nachhaltig wären Emissionen von insgesamt zwei Tonnen pro Kopf. Allerdings merkt er auch an, dass die Messung des „ökologischen Fußabdrucks“ sehr stark auf das Individuum fixiert sei. Wenn man beispielsweise Geld in Windenergie investiere und dadurch Emissionen gespart werden, könne das der CO2-Rechner nicht abbilden.
Es gehe aber nicht nur um Energieverbrauch und CO2-Bilanzen, sondern auch um soziale Standards, ergänzte Thomas Hölscher. Jeder Mensch müsse sich bewusst machen, welchen Einfluss er mit seinem Konsum auf die Umwelt habe. Die steigenden Verkaufszahlen für Bio-Produkte sprächen immerhin für ein gestiegenes Bewusstsein in diesem Bereich. Das sollte aber nicht nur die Transportwege und die damit verbundenen Emissionen betreffen, sondern auch die soziale Gerechtigkeit in der Herstellung – und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wo es möglich sei, sollte man auch eher regionale Produkte kaufen, da diese am authentischsten seien.
Beim Thema Nachhaltigkeit finde immer wieder eine einseitige Fixierung auf den Verbraucher statt, meint hingegen Bilharz. Transportbilanzen seien beim Lebensmittel-Konsum auch nicht alles: Wenn dem so wäre, dann würde es sich für den „Ökobilanzierer“ doch lohnen Kühe möglichst eng einzupferchen, weil das viel weniger Emissionen erzeugen würde. Für ihn sei das „Herumreiten“ auf regionaler Lebensmittelproduktion nicht hilfreich. Man könne den Konsumenten eh nicht dazu bringen, die über 150 verschiedenen regionalen Erzeuger auseinanderzuhalten. Zudem werde dieser durch seinen Konsum nicht das grundsätzliche Problem der Transportwege lösen. Das ginge nur durch die Politik, indem beispielsweise importierte Früchte höher besteuert werden.
Die Politikerin Katrin Göring Eckardt wird beim Thema „überforderter Verbraucher“ immer skeptisch. Die Politik müsse eher Transparenz für den Verbraucher schaffen, so dass dieser erkennen könne, woher die Produkte stammen, die er kauft. Dann kann er entscheiden, ob er lieber den Apfel aus Neuseeland oder aus Deutschland kauft. Zudem müsse die Politik ein Bewusstsein dafür schaffen, dass nicht alle Nahrungsmittel immer und überall zum gleichen Preis verfügbar sind. Sie will „Preisehrlichkeit“ erreichen: In anderen Bereichen gelinge es bereits mit großer Selbstverständlichkeit die Herstellungsbedingungen und Transportkosten im Preis darzustellen. Das müsse nun auch bei Lebensmitteln erreicht werden.
„Wie soll denn Ausbeutung eingepreist werden?“ fragte Bilharz bissig. Soziale Standards müssen aus seiner Sicht von der Politik gesetzt werden, das kann man nicht „einpreisen“. Es gebe politische Rahmenbedingungen, die den Markt beeinflussen. So wurde beispielsweise von der Politik das Treibhausgas FCKW verboten und damit diese Emissionen stark gesenkt. Die Frage sei: Wo ist die effektive Einflugschneise für politische Rahmengesetzgebung? Ist es der Preis? Sind es Verbote? Oder ist es die Besteuerung? Mit „mehr Wissen und Transparenz“ argumentiere immer nur die gutbürgerliche Mittelschicht. Die Grünen bedienen hier eine Kaufelite, zu der auch immer mehr Grünenwähler gehören. Die Hauptvariable zur Erklärung von höherem, ressourcenverbrauchendem Konsum sei doch aber das Einkommen: Je höher das Einkommen, desto höher der Konsum.
Dann wäre ja die allereinfachste Variante, wenn wir alle auf Hartz-4-Niveau leben würden, entgegnete Göring-Eckardt ironisch. Auf die Grünen-Wähler einzuhauen, sei natürlich einfach, es würden ja auch immer mehr. Es existiere aber weder politische Allmacht noch politische Einigkeit in den Zielen. Man könne nicht einfach Standards festlegen, ohne die Menschen zu überzeugen und mitzunehmen. Dann werde man nach vier Jahren vom Wähler abgestraft und die eigene Politik wieder umgekehrt, wie man am Atomausstieg gesehen habe. Das Problem sei doch gerade der legislaturperiodische Wechsel der Politik. Die Frage sei, wann der Punkt kommt, an dem man sicher sein kann, dass eine Entscheidung langfristig bleibt. Für sie ginge es zukünftig darum, einheitliche europäische Standards zu schaffen. Gerade in dieser Frage, könne man das nicht mehr national entscheiden. Doch bevor dies erreicht werde, kann man nur versuchen, Transparenz und Preisehrlichkeit zu schaffen. Der Verbraucher habe mit seinen Konsumentscheidungen eben auch eine gewisse Macht.
Aber gerade hier müsse man unterscheiden, findet Bilharz: Es gebe Themen, bei denen die Verbraucher wirklich entscheiden können, aber auch Themen mit zu hoher Komplexität, bei denen die Verbraucher überfordert sind. Es ginge gerade um ein Wechselspiel: Den Verbraucher aufklären, wo es möglich ist, Standards setzen, wo es nötig ist. Bilharz betrachtet dies als Stratege: Das Ziel ist klar definiert, der Instrumentenmix, um es zu erreichen, aber flexibel. Die Politik müsse sich klar machen, wo sie den Verbraucher wie unterstützen kann. Auf diese Weise könne sie auch kulturellen Wandel vorantreiben. Man brauche nicht alle Menschen von Nachhaltigkeit zu überzeugen, meinte Bilharz. „Wir brauchen nicht die Masse, sondern eine kritische Masse.“ Bereits dann könne ein kultureller Wandel stattfinden.
Am Ende waren beide Diskussionspositionen gar nicht so weit voneinander entfernt. Während die Politikerin auf einheitliche Regelungen auf europäischer Ebene setzte und, bis diese umgesetzt sind, den Verbraucher in die Pflicht nahm, forderte der Forscher ein stärkeres Primat der Politik, die den Wandel stärker vorantreiben sollte. Dass Ziel ist gleich, nur der Weg verschieden.