„Urban Gardening“ ist zum neuen Schlagwort geworden. Meist sind damit kleine Initiativen gemeint, Menschen, die mitten in der Großstadt gärtnern, Brachflächen bepflanzen oder Dächer begrünen. Das Konzept CPUL (Continous Productive Urban Landscape), das die Architektin und Produktdesignerin Katrin Bohn gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner André Viljoen entwickelt hat, geht weit darüber hinaus. Am 29. Juni stellte sie ihre Ideen aus Anlass der Ausstellungseröffnung „Carrot City – Die Produktive Stadt“ und auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen in Erfurt vor.
„Die Produktive Stadt“ – damit ist eine Vision gemeint; die Vision der sich selbst versorgenden Stadt. Heißt, das zurzeit sehr komplexe städtische Ernährungssystem, das von so vielen Faktoren abhängig ist, soll lokal und dadurch stark vereinfacht werden. Die Kartoffeln von nebenan, die Möhren aus dem eigenen Beet und Äpfel aus dem Wohngebiet – so könnte laut Katrin Bohn die Zukunft aussehen. Damit würden Probleme wie der massive CO2-Ausstoß durch den Transport und die Lagerung von Lebensmitteln, der Zugang zu wirklich frischen Nahrungsmitteln oder die Abhängigkeit von Supermarktketten zu lösen sein. Klingt gut. Aber ist das tatsächlich durchführbar?
Ja, meint Katrin Bohn. Sie führte als Paradebeispiel Kuba an. Hier waren die Menschen, weil mit dem Niedergang der Sowjetunion die Brennstoffversorgung wegfiel, um das Jahr 2000 gezwungen, Flächen mitten in der Stadt zu bewirtschaften, um nicht zu verhungern. „Das Land schaltete schnell auf urbane Landwirtschaft um“, schilderte Katrin Bohn. Fortan wurden große Mengen kommerziell in Wohngebieten etc. hergestellt. In Deutschland bestehe glücklicherweise kein ähnlicher Zwang und darin liege ein Vorteil: Hier könnten Flächen entworfen und in Ruhe geplant werden, so Bohn. „Wir verstehen diese urbane Landwirtschaft als etwas, das Infrastruktur in der Stadt wird“, sagte sie. Anbauflächen mit Zugang für alle, planerisch gestaltet als öffentliche Gebilde inmitten der Stadt. Allerdings gäbe es bei allen positiven Aspekten das Problem, wie man die Idee der urbanen Landwirtschaft in den legislativen Rahmen der Städte und Länder festhalten könnte, ob man solche Flächen ebenso in städtischen Programmen festschreiben könnte wie Sportflächen.
Die anschließende Diskussion zeigte, dass es noch weitaus mehr ungeklärte Fragen rund um das Thema gibt. Auch wenn Prof. Ulf Hestermann (FH Erfurt) meinte: „Die Idee überzeugt mich total“, sagte er, was die Landwirtschaft in der Stadt betrifft: „Ich glaube nicht daran. An das Gärtnern sehr wohl“. Diese Position schien allgemeinen Konsens zu finden: „Richtige“ Landwirtschaft zu betreiben sei in der Stadt kaum möglich, private Initiativen und kleinere Ansätze seien dagegen durchführbar und wünschenswert.
So meinte Grit Tetzel (Ökoherz e.V. / Grüne Liga Thüringen), das Konzept habe zwar Charme, aber man müsse sich fragen, ob unsere Städte überhaupt dafür geeignet seien. „Wir haben in Thüringen eher kleinere Städte.“ Wie attraktiv ist es, die Zwischenflächen zu bewirtschaften?, fragte sie. Und gab auch gleich selbst die Antwort: Städtischer Boden sei für den Bauern, der guten Boden sucht und einen hohen Ertrag erwirtschaften will, unattraktiv.
Katrin Bohn merkte an, dass es ihr nicht um intensive Landwirtschaft, wie sie jetzt betrieben werde, gehe, sondern um die Einbeziehung eines urbanen Gartenbaus in die städteplanerischen Konzepte: „Wir integrieren landwirtschaftliche Produktionen in die Stadt. Das beinhaltet vor allem Obst und Gemüse, nicht Getreide und meistens wird auch Tierhaltung ausgeschlossen.“ Würde man Restflächen wirklich nutzen, könne man 20 – 30% des Obst- und Gemüsebedarfs einer Stadt selbst erwirtschaften. Jede dritte Gurke käme nicht aus Spanien, sondern vom Feld in nächster Nähe.
Prof. Horst Schumacher (FH Erfurt) Aussage: „Wir vertrauen der großen Landwirtschaft und den Versorgungsstrukturen nicht mehr. Wir haben einen anderen Anspruch, machen es lieber selbst und haben auch noch Spaß dabei“ brachte ihm Beifall aus dem Publikum. Aber auch er meinte hier offensichtlich nicht die große urbane Landwirtschaft, sondern die kleinen Initiativen. Eine Nischenproduktion für wenige.
Bei uns sähe es eben anders aus als in Kuba, merkte Ulf Hestermann an. Selbst ein Hartz-IV-Empfänger habe keine Not, sich selbst um die Nahrungsmittelerzeugung kümmern zu müssen. Bei uns herrsche eher Überversorgung, die Discounter werben mit immer neuen Dumpingpreisen. Flächen seien in privater Hand, nicht, wie in Kuba, in staatlicher.
Die Flächenverfügbarkeit scheint tatsächlich ein Problem zu sein: Es ist schwierig zu beweisen, dass urbane Landwirtschaft ökonomisch Sinn mache, so Katrin Bohn. Kein Investor verzichte für ein Möhrenfeld auf ein Hotel. Hier setzen alternative Denkweisen an: Geld, dass in lokale Initiativen fließt, komme auch wieder zurück im Gegensatz zum Geld, dass in großen Supermärkten ausgegeben wird.
Und so betonte auch Hestermann, dass es eine neue Aufmerksamkeit für das Problem der Nahrungsmittelversorgung gäbe. Man habe zunehmend weniger Vertrauen in die großen landwirtschaftlichen Strukturen und wünsche sich wieder kleine dezentrale landwirtschaftliche Strukturen, um eine Versorgung sicherstellen zu können.
Genau das – die Idee der Lebensmittelsicherheit – sei ein wichtiger Aspekt, ergänzte Katrin Bohn. Das war in Großbritannien zu merken, als aufgrund der Aschewolke der Flugverkehr stillgelegt wurde. Schon nach fünf Tagen sei die Nahrungsmittelsicherheit nicht mehr gewährleistet gewesen.
Ein Umdenken ist also wichtig. Was, so fragte Marco Schrul, der die Diskussion moderierte, wäre der erste bzw. nächste Schritt in die produktive Stadtlandschaft?
Ulf Hestermann antwortete kurz und bündig: In Wohnungsbaugesellschaften Initiativen gründen und lokale Versorgungsstrukturen aufbauen.
Grit Tetzel meinte, die Stadtlandschaft sei bereits produktiv – es gäbe so viele Streuobstwiesen rund um die Städte, die viel zu wenig genutzt würden.
Katrin Bohn antwortete, man müsse von oben (lokale Stadtverwaltung) und von unten (Akteure vor Ort) beginnen. „Beide haben unterschiedliche Interessen. Man muss genau hinschauen, was es im Ort bereits gibt und was es für ein Ort ist.“ Selbst in Städten wie Jena oder Erfurt sei urbane Landwirtschaft möglich.
Horst Schumacher sah als nächsten Schritt die verantwortungsvolle Bildung, Projekte, die gut funktionieren und selbstverantwortliche und selbstgesteuerte Bürgerinitiativen. Man könne nicht auf ein Signal von oben warten.
Viel Stoff zum Nach- und Weiterdenken gaben sowohl der Vortrag von Prof. Katrin Bohn als auch die anschließende Diskussion. Wie weit das Feld der urbanen Landwirtschaft ist und wie stark sie noch in den Kinderschuhen steckt, davon konnte man sich auf jeden Fall ein Bild machen.