Ein Exkursionsbericht eines Teilnehmers über die Fahrt nach Berlin "Urbanes Gärtnern im Kiez" im Mai 2016.
Nach diesem qualitativ hochwertigen Ausflug nach Berlin ist eins klar: Stadtgärtnern ist komplexer als gedacht. Die Bildungslandschaft in Stadtgärten ist so vielschichtig wie die Berliner Erde selbst.
Der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen und dem Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung gelang mit ausgewählten Beispielen und gut vorbereiteten Inputs durch die hiesigen Experten eine treffende Skizze der Berliner urban gardening Bewegung. An zwei Tagen wurden zwei etablierte Initiativen vorgestellt: In den Prinzessinnengärten und dem Tempelhofer Allmende-Kontor boten uns die dortigen Gastgeber unverblümte Einblicke in ihre Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen.
Durch geschickte Hotelbuchung im Kiez der Prinzessinnengärten am Moritzplatz konnten wir schon vor Beginn des offiziellen Programms erste Eindrücke von der Berliner Szene gewinnen. Ein ausgezeichnetes Mittagessen, serviert aus den Schiffscontainern der Brachen–Gärtner, verdeutlichte auf überraschende Weise, den gehobenen Standard, den ein so improvisiert wirkender Ort erreichen kann. Lecker war die vegetarische Pasta Tomate mit Salat an einem Spiegel von Orangendressing.
Die Tempelhofer Freiheit
Die anregende Einführungsveranstaltung fand im am ehemaligen Grenzstreifen gelegenen Neubau Bildungswerk der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung in der Sebastianstraße statt. Hinter dem lichtdurchfluteten Tagungshaus macht eine eigene größere Brache sofort Lust auf Entwicklung. Zusammen mit Tanya Lazova der HBSB besuchten wir die Gärten auf dem Tempelhofer Feld. Dort wurde nach der ersten Vorstellungsrunde klar, dass die thüringer Delegation aus erfahrenen StadtgärtnerInnen bestand, die von der Hauptstadt lernen möchten. Unsere Referentin Karin ist Gärtnerin der ersten Stunde auf dem Feld und erlebte die anarchischen Stunden des Beginns einer Bewegung mit, die als Tempelhofer Freiheit nicht nur in die Geschichts- sondern auch die Gesetzesbücher eingehen sollte.
Ein kurzer Überblick zum Allmende-Kontor: 2009 lobte die Grün Berlin GmbH einen Wettbewerb aus, um die 330 ha große Freifläche Tempelhofer Feld mit Pionierprojekten zu besiedeln, um neue Ideen zu realisieren und dem Anspruch des geforderten Partizipationsprozesses gerecht zu werden. So konnten sich Initiativen mit Konzepten zur Bespielung von jeweils 5000 m² bewerben. Nach der Auswahl der umsetzbaren Projekte fiel der Startschuss. Innerhalb weniger Wochen war die Platzkapazität von 5000 m² mit selbstgebauten Beeten und Freiräumen für Individualisten überschritten.
Die Initiative hatte Mühe diese „Explosion“ einzudämmen. Den Entstehungsprozess haben die Initiatoren, Aktive aus mehreren Stadtgärten in Berlin (Gartenkarte), mit Hilfe der DBU als prozessorientierte Bildungs- und Beteiligungsoffensive gestartet. Ergebnisse sind das Handbuch "Wissen wuchern lassen" und die Expertise der workstation Berlin sowie auch der freie interkulturelle Garten auf dem Tempelhofer Feld.
Heutzutage besteht die gärtnerisch genutzte Fläche aus drei Parzellen a 5000m². Die Initiative Allmende-Kontor hat sich einerseits als gärtnernder Verein vor Ort etablieren können. Auf der anderen Seite separierte sich der politisch aktive Allmende-Kontor. Dabei genießen die Leistungen beider Gruppen hohes Ansehen in der Stadt. Verschiedene Arbeitsgruppen welche Angebote zu Bienen, Wasserversorgung, Kompost, Färberpflanzen und andere Bildungs- und Mitmachaktionen organisieren, haben sich etabliert.
Nachdem wir die Gärten auf dem Feld von außen besichtigt hatten durften wir die nachträglich geschaffenen Organisationsstrukturen und deren Schwierigkeiten kennenlernen. Der Rundgang durch diese besondere Kulturlandschaft des Gemeinschaftsgartens überzeugte die ExkursionsteilnehmerInnen ausnahmslos. Über eine Farbkodierung der Bereiche, die Ernennung von Ansprechpartnern und viel Kommunikation versuchen die Koordinatoren die über 500 Mit-Aktiven zur Mitgestaltung der Gemeinschaft und Gartenlandschaft zu motivieren. Entstehende Kosten wie Flächenpacht, Wasser und Materialien, z.B. Bio-Boden aus dem Umland, versucht der Verein über Beetpacht und Mitgliedsbeiträge aber auch über Bildungsangebote zu finanzieren. Bei Neugründungen von Gemeinschaftsgärten, so erfuhren die ExkursionsteilnehmerInnen, bietet die Stiftung Interkultur finanzielle Unterstützung. Fürs erste verließen wir das Tempelhofer Feld. Das Thema Allmende-Kontor sollte uns jedoch auch dem Besuch auf dem Feld noch einmal auf unserer Exkursion begegnen.
Für den Abend haben wir uns spontan dazu entschieden, einen urbanen Garten der besonderen Art zu besuchen. Auf dem Dachgeschoss eines Parkhauses ist nicht nur der Club Klunker - Kranich zu finden, sondern auch der frei zugängliche Klunker – Garten. Dieses innovativ ausgestattete Cafe' zeigt den Besuchern eindrucksvoll die Möglichkeiten des urban gardenings. Die vertikal bepflanzten Wände und die verschiedenen Hochbeete auf dem versiegelten Boden sind individuell bepflanzt und mit einem Bewässerungssystem ausgestattet. Ein Ort der mit einer weiter Aussicht über Berlin und liebevollen Details viele inspirierte.
Am nächsten Morgen stand uns die workstation Initiative in Person von Miren Frage und Antwort. Wir erhielten Einblick in die Auseinandersetzung der Initiative mit dem Stadtentwicklungsamt Berlin, dem Berliner Senat und der Grün Berlin GmbH. Die Fristen für die temporären Gärten und Projekte auf dem Feld sollten aufgehoben werden. Pionierprojekte hatten sich etabliert und belebten und entwickelten die Flächen „eigenständig“. Verhandlungen an runden Tischen mit Interessenvertretern brachten keine Übereinkunft. So ging aus den Kiezgärten ein Volksbegehren hervor, welches am 25. Mai 2014 erwirkte, dass das Tempelhofer Feld zu 100% unbebaut bleiben konnte.
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Open external content on original siteUrbane Experimentierfläche in den Prinzessinnengärten
Als finalen Programmpunkt unserer Exkursion besuchten wir einen weiteren Garten der Weltruhm erlangt hat: Die Prinzessinnengärten am Berliner Moritzplatz. Die StadtgärterInnen können nicht nur kulinarisch und gastronomisch eine ganze Menge. Sie haben sich auch durch Netzwerkarbeit und viele fleißige Helfer ein sogenanntes Filetstück für Bebauung in Kreuzberg gesichert. Anfangs als temporäres Projekt geplant wurden hier die bekannten roten Lebensmittelkisten als Beete aufgestapelt und bepflanzt. Über verschiedene urban gardening Techniken haben die Gärtner es geschafft, ihre Ernte, Jungpflanzen und Saatgut an eine breite Öffentlichkeit zu bringen. Die wuchtigen Überseecontainer haben der Fläche ihr jetziges Aussehen verliehen. Die zahlreichen Auftritte in Funk und TV aber auch in der Fachpresse und eigenen Publikationen haben verschiedene Projektbetreiber angezogen. So etablierte sich die Fläche als urbane Experimentierfläche. Nachbarschaftlich werden der Kompost, die Beete und eine Fahrradwerkstatt betrieben. Darüber hinaus kann man ziemlich gut die Mittagspause oder einen Besuch in Berlin mit einem Essen in der urbanen Spontanvegetation abrunden.
Wir Teilnehmer der Böll-Exkursion 2016 waren allesamt zufrieden mit den ausgewählten Exkursionsinhalten und den sehr guten Referenten und nehmen viele Anregungen und Denkanstöße für die eigene Arbeit mit zurück nach Thüringen. Gern möchte ich an dieser Stelle Michael Welz, dem DAKT e.V. und dem Bildungswerk der Böll-Stiftung für die Organisation dieser gelungenen Veranstaltung danken.